2319 - Die Siedler von Vulgata
leichtsinnig war er gewesen! Dummer Heißsporn, dachte er, diesmal hast du es zu weit getrieben.
Der kleine Greis aus der ersten Reihe stand auf. „Wartet einen Augenblick, liebe Älteste." Er schwieg, bis es gänzlich still geworden war. Dann sagte er: „Dieser Junge macht uns den Vorwurf, von unseren Ursprüngen abgewichen zu sein und Gott nicht mehr auf die Weise die Ehre zu geben, wie er es wünscht. Das sind schwerwiegende Worte. Soll er schon heute zum Schweigen gebracht werden?
Ich kenne uns. Wir würden seine Anklage heute Abend mit dem Zubettgehen vergessen, denn sie ist uns unangenehm und wir sind froh, sie loszuwerden."
„Was schlägst du also vor?", fragte Arricks Großvater. „Ich sage, lasst ihn leben. Für seine Greueltaten soll er verbannt sein aus Vulgata. Er soll die gestohlenen Güter meinethalben behalten und versuchen, sich damit über den nächsten Winter zu retten mit seinen Aufständischen, aber Vulgata sollen sie nie wieder betreten. Ich will, dass er diese andere Lebensform ausprobiert, die er uns vorschlägt. Scheitert er, dann wissen wir, dass er ein Lügner war, und er selbst muss es einsehen, während er da draußen verhungert. Ist aber Gott auf seiner Seite - ihr Ältesten Vulgatas, wollt ihr euch gegen Gott stellen? Wenn es ihm gefällt, dass ein Fünfzehnjähriger uns Greise beschämt, so sei es. Es gibt ein altes Wort, das nur noch die wenigsten kennen: Prophet. Ich habe es von meinem Urgroßvater gelernt, der alte Worte liebte. Seine Bedeutung ist, dass ein Mann unter Gottes besonderer Führung steht und seinen Willen verkündigt. Wenn Arrick Aargrefe ein Prophet ist, möchte ich nicht Hand an ihn legen."
Arrick sah auf zum Patriarchen. Dessen Gesicht war kühl und unnahbar. Reglos wie aus Stein waren seine Züge. Er kämpfte nicht gegen die Rede des Greises.
Warum nicht?
Die Abstimmung fiel nun anders aus. „Verbannung", sagten die Familienoberhäupter, einer nach dem anderen sagte: „Ich stimme für die Verbannung." Nur selten hörte er noch: „Er soll sterben."
*
Die Rebellen empfingen ihn mit Jubel.
Arrick aber war niedergeschlagen. Sollte das Gottes Wille sein? Dass er ausgestoßen wurde, um ein karges Leben außerhalb der Siedlung zu führen? Er hatte sich den Weg der Wahrheit anders vorgestellt, er hatte gedacht, er würde die Terraner rufen und den Patriarchen stürzen, und dann würden mit den Maschinen der Terraner Wohlstand und eine glückliche Zukunft Einzug halten. Aber der Patriarch hatte den Rufer gut versteckt, und seine Macht war keineswegs gebrochen.
Arrick brauchte mehr Rückhalt. Er musste mehr Siedler um sich sammeln. Was, wenn das Jahre dauerte? Auch die anderen Geächteten würden bald die Folgen ihrer Entscheidung erkennen: Sie würden frieren, hungern und ihre Familien vermissen; einige von ihnen würden den Spinnen zum Opfer fallen, wenn sie am Waldrand Felder bestellten. Mehr Siedler zu sammeln, durfte er das wirklich erwarten? War es nicht eher wahrscheinlich, dass das Häuflein der Geächteten zusammenschmolz, weil etliche starben und der Rest versuchen würde, zur Siedlung zurückzukehren?
Schon die nächsten Monate belehrten ihn eines Besseren. Es war kein leichtes Leben, das nicht, aber als die ersten Hütten errichtet waren, sah Arrick immer öfter junge Menschen am Rand Vulgatas stehen und zu ihnen heraufschauen, und bald kamen zwei, dann fünf, dann sieben, um mit ihnen zu leben.
Er erfuhr, dass die Kunde von seiner Rede im Haus Levitikus sich wie ein Brandfeuer verbreitet hatte, dass es niemanden gab in Vulgata, der nicht davon wusste und darüber sprach. Besonders die Jungen zürnten dem Patriarchen, der Arrick keine Rückkehr in die Siedlung erlaubte und der die Terraner fortgeschickt hatte, obwohl sie Maschinen und Neuigkeiten aus dem All bringen wollten.
Manche waren vorsichtiger und kamen zunächst nur, um Arrick predigen zu hören. Arrick erklärte ihnen: Nicht nur die Siedler, sondern das ganze Universum war von Gott erschaffen. Einen Sohn hatte er auf Terra hinabgesandt, den man den Messias nannte, und damit die Todesstrafe aufgehoben, die jedem Gesetzesübertreter drohte. Selbst ein Mörder - und hier pausierte er immer, weil er die Zuhörer wissen lassen wollte, dass er sich seiner Schuld bewusst war - werde von Gott geliebt. Durch die Mission seines Sohngesandten drohe ihm kein ewiger Tod mehr, sondern er bekomme eines Tages die Unsterblichkeit verliehen wie jeder, der sich zu Gott hinwende.
Viele Siedler
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