2319 - Die Siedler von Vulgata
Er schloss die Augen. „Darf ich?", fragte sie, ohne die Lippen weit von seinem Mund zu entfernen. Da war ein Lächeln in ihrer Stimme. Sie wusste längst die Antwort
12.
Die Geächteten waren begeistert von der Idee, ein Haus für Gott zu errichten, ein Haus, in dem sie sich versammeln würden.
Sie arbeiteten ein halbes Jahr am Rumpf des Hauses und dann noch einmal fünf Monate am Turm. In dieser Zeit wuchs Murielles Bauch an. Drei Tage nachdem die Kirche eingeweiht wurde, brachte sie einen Sohn zur Welt. Sie nannte ihn Sabo.
Sie waren nicht verheiratet. Das, zusätzlich zu dem Umstand, dass des Patriarchen eigene Tochter zu den Geächteten übergelaufen war, vergrößerte den Spalt zwischen den zwei Seiten auf Vanderbeyten noch weiter.
Während die konservativen Siedler die Geburt des unehelichen Kindes als Beweis für die Zuchtlosigkeit und mangelnde Gottesfurcht der Aufrührer sahen, feierten die liberalen Rebellen den Anbruch einer neuen Zeit. Das erste Mal waren Angehörige zweier weit entfernter Häuser zusammengekommen. In der Barackensiedlung auf dem Felsen gab es keine Testamentsgrenze mehr - nie war das so deutlich geworden wie jetzt.
Die langhaarigen Geächteten lebten in Freiheit. Sie durften sagen, was sie dachten, trieben untereinander freien Handel, und sie feierten Gottesdienste in der Kirche und sangen dabei die Lieder ihrer Heimat Terra.
Es lockte weitere junge Leute aus Vulgata an. Die Siedler begannen, Arrick Aargrefe zu hassen.
Dann kam es zum Streit mit Murielle.
Während einer Predigt schrie der kleine Sabo so durchdringend laut, dass es Arrick erschien, die Zuhörer seien kaum in der Lage, seine Texte aus der Heiligen Schrift zu verstehen. Mit jedem Satz, der unverstanden im Geschrei unterging, ärgerte er sich mehr. Er fuhr Murielle an: „Bring ihn endlich raus! Merkst du nicht, wie sehr ihr stört?"
Sie wurde blass unter diesen Worten und verließ ohne ein Widerwort die Kirche.
Sofort tat ihm Leid, was er gesagt hatte. Als er nach dem Gottesdienst in die Hütte kam, sah ihn Murielle nicht an. Ihr Gesicht war angeschwollen und nass. „Murielle", setzte er an. „Leise! Der Kleine schläft."
„Es tut mir Leid, ich ..."
„Vergiss es, Arrick."
„Aber du vergisst es nicht, richtig?"
„Du hast mich vor allen bloßgestellt. Sie halten sowieso schon nicht viel von mir, sie denken, ich habe dich verführt, dich, den ach so fehlerlosen Helden der Aufständischen. Ich gelte nichts hier."
„Aber darum geht es doch nicht: etwas zu gelten."
„Nein? Warum ist es dir dann so wichtig, dass jeder deine Predigt hört? Wir sind dir doch im Weg, dein Sohn und ich. Als alleinstehender Rebellenführer hattest du mehr Ansehen."
„Das ist nicht wahr."
„0 doch, Arrick. Und was mich wirklich verletzt: Dieses Ansehen ist dir wichtiger, als wir es sind."
Was sie sagte, durchtrennte etwas in ihm, es erwischte ihn an einer Stelle, an der er empfindlich war. „Ich habe eine Aufgabe", sagte er. „Und diese Aufgabe erfülle ich.
Das wusstest du, als du herkamst. Tu jetzt nicht so, als hätte ich dir versprochen, für dich alles aufzugeben!"
„Wie abfällig du das sagst: >für dich<. Du redest so schön von Liebe. Wo ist sie in deinem Leben?" Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ sie die Hütte.
Hoffentlich hatten die Nachbarn ihren Streit nicht mit angehört.
In der Nacht wachte der Kleine auf. Arrick beruhigte ihn, indem er den Schakrakei weckte und ihn ein Abendlied singen ließ.
Er selbst aber konnte nicht wieder einschlafen. Er holte die Heilige Schrift hervor und las darin über Cherubim-Wesen.
Am nächsten Tag kamen hundert eiterhäutige Höllengeschöpfe nach Vanderbeyten
13.
Heute Was, wenn er einen Fehler machte? Alles an diesen Wesen war eine Warnung. Wozu trugen sie spitze Reißzähne in ihren Schnauzen? Wozu hatten sie Hinterläufe wie Hunde? Um ihre Opfer zu jagen und zu zerreißen! Ihre Klauen täuschten Frieden vor, die messerlangen, scharfen Krallen waren eingefahren. Aber wozu dienten die Messerkrallen, wenn nicht dazu, zu verletzen und zu töten?
Hatte Gott diese Geschöpfe absichtlich abstoßend geschaffen, damit andere vor ihnen gewarnt waren? Die eitrige, glänzende Haut - sie sahen damit den Unken ähnlich, die man nicht berühren durfte, weil das Gift ihrer Haut Schmerzen und Krämpfe bereitete. Die gebeugte Haltung! Sprungbereit waren sie. Und sie leckten sich fortwährend die Schnauzen, als müssten sie ihren Appetit zügeln, und
Weitere Kostenlose Bücher