232 - Höllisches Paradies
fliegen eine Büchse der Pandora, Kapitän! Der ganze Laderaum ist angefüllt mit sämtlichen tödlichen Krankheitserregern und genetischen Abfallprodukten, die sich in den Forschungslaboratorien des östlichen Russland angesammelt hatten. Man will nicht, dass dieses Teufelzeug beim Kometeneinschlag in die Atmosphäre geblasen wird. Also wird es entsorgt. Mit dieser Maschine. Über dem Arabischen Meer wird es eine Explosion geben, und die Sünden der Wissenschaft werden verglühen…« Seine Stimme versagte.
»Das ist noch nicht alles!«, zischte Stanislav, der das Gefühl hatte, sich in Brei aufzulösen. »Ich will alles wissen!«
»Sie können die Explosion nicht verhindern. Das ist ein Himmelfahrtskommando. Ich habe den Auslöser bei mir und werde ihn benutzen. Sie haben ja keine Ahnung…«
»Also werde ich Sie töten. Oder Sie zeigen mir den Zünder. Nein, besser: Sie entschärfen die Bombe.«
»Keine Chance, Kapitän. Es würde sofort zu einer Zündung kommen.«
»Warum tun Sie das?«, fragte Stanislav, um Zeit zu gewinnen. In seinem Hirn arbeitete es fieberhaft. Womit löste der Doktor die Detonation aus? Gott sei Dank schien es keine federgelagerte Totmann-Sicherung zu sein. Dann wären sie jetzt nur noch Staub. Also musste der Auslöser sich im Flugzeug befinden. Jeder Knopf konnte es sein, jeder Hebel, jeder Schalter.
»Dies ist eine freiwillige Mission. Ich sterbe für meine Familie. Können Sie sich so etwas vorstellen?«, fragte Dr. Artjenko. »Für jemanden zu sterben?«
»Ja, das kann ich.«
»Sehr gut, Kapitän. Man bot mir diese Gelegenheit.«
»Und Sie sagten zu. Okay, lieber Geheimdienst. Ich hatte sowieso vor, ein bisschen zu sterben …?«, stieß Stanislav hervor. Nur mit Mühe zügelte er Verwirrung und Zorn.
Dr. Artjenko zog die Nase hoch, lächelte matt und schüttelte den Kopf. »Meine Familie wird mit einem Regierungsflugzeug evakuiert. Sie wird überleben. Ich hingegen werde sterben. Aber dies ist nur ein kleiner Preis. Dafür, dass dieser tödliche Müll nicht unter die Lebenden gerät. Irgendjemand muss es tun. Antworten Sie mir, Kapitän – ist das ein guter Grund?«
***
Stanislav wollte leben. Er war kein Idealist. Diese Gefühle lagen ihm fern. Er hatte zu viel Leid, zu viel Ungerechtigkeit erlebt. Lügen, politische Wirrköpfe, falsche Versprechungen.
Seine Frau war ihm davongelaufen, eine schöne Frau, die es mit ihm nicht mehr ausgehalten hatte. Mit der gemeinsamen Tochter lebte sie heute irgendwo in Moskau. Er sei ein Misanthrop, hatte sie sich beklagt. Er habe sein Lachen verloren. Er sei nicht mehr der, in den sie sich verliebt hatte.
Nein, das war er nach sechs Jahren Arbeitslager im Ural nicht mehr!
Es war eine Erscheinung des neuen Jahrzehnts, wusste Stanislav. Paare trennten sich wegen Nichtigkeiten. Gespräche wurden nur noch per Datenleitung geführt. Beziehungen waren vorübergehend. Bis jemand kam, der einem etwas Besseres, mehr Liebe, mehr Verständnis, besseren Sex versprach. Wenn man auch diese Lüge entlarvte, war es zu spät. Des Öfteren war Stanislav neben einer Frau aufgewacht, viele Jahre jünger. Er hatte sich gefragt, warum er das tat. Sex, der die Illusion der Jugend versprach, aber keine Gemeinsamkeiten. Keine Gespräche. Keine Kinobesuche. Nichts, was verband.
Aber es war mühelos.
Wenn zwei Menschen sich veränderten und trotzdem zusammenbleiben wollten, bedeutete das harte Arbeit. Nicht jeder war bereit dazu. Seine Frau war es nicht gewesen.
Stanislav fischte die Waffe aus dem Fußraum und hielt sie dem Doktor an den Schädel. »Ich werde Sie nicht erschießen, aber ich werde Ihnen Schmerzen bereiten. Ich bin Profi. Ich kann sie Stück für Stück in kleine Teile schießen, ohne dass Sie bewusstlos werden. Danach sind wir zwar beide taub, aber Sie haben das größere Problem. Es sei denn, Sie zeigen mir den Zünder!«
»Niemals…«
Nein, dieser kleine Mann war keineswegs zusammengebrochen, wie Stanislav zuerst vermutet hatte. Für seine Familie und seine Gesinnung hielt er sich aufrecht. Irgendwie bewunderte Stanislav den Wissenschaftler. Er hat, was mir abhanden gekommen ist, dachte er. Prinzipien!
»Hören Sie, Doktor. Sie wissen so gut wie ich, dass es auch eine andere Möglichkeit gibt. Wir könnten die Maschine weit ab vom Kometenaufschlag landen. Wir könnten nach einem anderen Weg suchen.«
Im selben Moment erkannte er die Wahrheit.
Und hätte fast gelacht, so abstrus war sie.
Er wog die Waffe in seiner Hand. Langsam
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