232 - Höllisches Paradies
zugewandten Augenwinkel schimmerte eine Träne.
»Haben Sie Probleme mit dem Licht?«, fragte Stanislav.
Dr. Artjenko regte sich nicht.
Erneut versuchte Stanislav, Bodenkontakt herzustellen. Vergeblich. Er wartete auf neue Daten, auf Radarbilder, die ihm per Viafunk oder GPS mitgeteilt werden müssten. Auf dem LCD tobten rote Lichter und der Autopilot fiel aus.
»Himmelarsch!«, fluchte Stanislav. Er flog seit fünfundzwanzig Jahren und hatte noch nie ernsthafte Probleme gehabt! Russische Flugzeuge waren die besten der Welt. Die technischen Überprüfungen, die Ingenieure, das Bodenpersonal arbeiteten perfekt. Und nun das!
»Hören Sie zu!«, herrschte er seinen Sitznachbarn an. »Sie sind Copilot, sagten Sie. Warum kümmert Sie nicht, was hier geschieht?«
Dr. Artjenko schwieg.
Das war unglaublich. Ein durchgeknallter Wissenschaftler an Bord und eine Be-300, die vom Autopiloten getrennt war. Stanislav drückte Tastenmuster, fluchte in sein Mikro und schaltete schließlich auf manuelle Steuerung. Die Maschine reagierte wie ein gutmütiges Tier. »Dann scheißen wir eben auf den Computerkram!«
Ein zorniges Knurren kam aus seiner Kehle. Um Gottes willen. Jetzt verabschiedete sich auch noch das Avionik. Ohne Navigation waren sie endgültig vom Boden abgeschnitten, Radarbilder gab es auch keine. Genauso gut hätten sie gemeinsam mit Charles Lindbergh mitten in der Nacht über dem Ozean sein können.
Stanislav lachte hart. Also musste er sich auf seine Erinnerung verlassen. Gelernt hatte er es, damals, in der geheimen Fliegerschule in Lipezk, wo man ihn unter dem Regime ausgebildet hatte. Sonne, Horizont, Wolken, Küsten, die eigene Geschwindigkeit und die verstrichene Zeit. Die gute alte Koppelnavigation.
Und Dr. Artjenko schwieg. Keine Panik, nur eine dicke Träne im Augenwinkel, die sich nun langsam löste und wie in Zeitlupe über die Wange kullerte.
Im selben Moment erkannte Stanislav: Der Kerl neben ihm wollte ihm nicht helfen. Und das hatte einen Grund.
»Sie müssten auf Sichthöhe gehen«, murmelte Dr. Artjenko. »Nur so können Sie navigieren.«
»Bin schon dabei.«
»Aber das werde ich nicht zulassen.« Er griff in seine Jackentasche. Und richtete eine Tokarev TT33 auf Stanislav.
***
9. Dezember 2524, Pazifik
Das bionetische Gewebe der Transportqualle, die sie im Mekong-Delta entdeckt hatten, pulsierte und zog sich zusammen. Ein von tausend Bläschen durchsetzter Wasserstrahl schoss aus dem vorderen Schlund – Matthew Drax hatte eine Bremsfontäne initiiert.
Der Quallenkörper entspannte sich etwas. Vier oder fünf Meter lang war er, ungefähr drei Meter hoch und ebenso breit. Matt und Aruula erhoben sich von etwas, das wie Sitze aussah, aber sofort mit dem Quallengewebe verschmolz, als die Reisenden im Inneren zum Mittelpunkt des lebendigen Hohlkörpers schritten.
Bei dieser hydritischen Qualle handelte sich um einen Prototyp, der mit etlichen Zusatzfunktionen ausgestattet war. So besaß die Qualle einen kurzfristig zuschaltbaren Turboantrieb, der die Tentakel dazu brachte, statt ihres üblichen Wellenschlags die Schwimmbewegung großer Kalmare zu imitieren. Bei horizontaler Fahrt schoss der Prototyp dann jedes Mal aus einer Wolke Luftbläschen hervor.
Die bionetischen Instrumente zeigten ein Signal an.
»Ist es wieder dasselbe?«, fragte Aruula.
»Sieht ganz so aus… Es könnte sich um ein Notsignal handeln«, murmelte Matt Drax. »Es kommt von Westen. Regelmäßig, jede halbe Stunde.«
»Ich ahne es schon«, seufzte Aruula. »Du willst nachsehen.«
Matt zuckte mit den Schultern. »Wir haben jetzt die Inselgruppe zwischen Neu Guinea und Borneo passiert. Da wir sowieso an der australischen Westküste entlang wollen, wäre es kein Umweg, dem Signal zu folgen.«
»Und wieder in Schwierigkeiten zu kommen«, orakelte Aruula.
»Die Absender müssen immerhin etwas von Technik verstehen«, warf Matthew ein. »Vielleicht treffen wir auf Bunkerleute…«
Aruula knurrte etwas und lauschte dem Signal, als könne sie mehr heraushören als das regelmäßige Piepsen. Sie fühlte sich nicht besonders wohl. Inzwischen hatte Aruula sich zwar leidlich an die bizarren Unterwasserkreaturen gewöhnt, doch der bionetische Tauchanzug zwickte und juckte sie überall. Maddrax bestand darauf, ihn anzubehalten, »für alle Fälle«, wie er sagte. Zumindest musste sie den Helm nicht aufsetzen, da die Qualle für die nötige Sauerstoffzufuhr sorgte.
Wenn sie sich in ein neues Abenteuer stürzten,
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