2341 - Die Ratten der JERSEY CITY
Captain. Bestimmt nicht, Captain."
Was ihn vor Tagen hätte provozieren und piesacken sollen, war jetzt nur noch eine Ansammlung schwacher Silben, die tatsächlich beschwichtigend klangen.
Sie hatten derzeit genügend zu tun. Unter Vabians Anleitung dachten sie sich Sabotageakte aus. Aus Waffenkammern nahmen sie Energiemagazine, die sie an verschiedenen Stellen deponierten. „Damit können wir zumindest genügend Chaos stiften", überlegte Vabian finster.
Er sah überhaupt nicht mehr wie Prinz Charmebolzen aus, nicht einmal wie Prinz Selbstgefällig. Eher wie ein zerzauster Mann ohne Hoffnung, den nur noch der pure Wille nach Rache aufrecht hielt. Mit technischem Geschick baute er Fallensysteme, überlistete die Positronik und sorgte für ein eigenes System zur Beobachtung der Ganschkaren an Bord der JERSEY CITY. „Und du warst mal Technikgegner", sagte Cleo, während sie ihm zusah, wie er positronische Bauteile mit einer Mikro-Optik verband.
Er hielt inne und schaute sie an. Blicklos geradezu. „Wir haben beide an Carlosch Imberlock geglaubt", sagte er tonlos. „Und wer weiß, ob Terras Untergang nicht demnächst kommt. Uns musste damals niemand beeinflussen, wir brauchten keine Geisteskräfte - wir haben an Imberlock und Gon-Orbhon geglaubt."
„Wie so viele", protestierte sie matt. „Und ich war höchstens Mitläuferin."
„Mag sein, dass ich engagierter war, aber ..." Er sprach nicht weiter.
Sie wusste auch so, was er sagen wollte.
Niemand hatte sie gezwungen, ihm aufs Land zu folgen. Cleo sah seine vollen Haare wieder vor sich, den Bart, seine beeindruckenden Augen. „Wir müssen den Technokraten eine Absage erteilen", hatte er gepredigt, „weg von der Technik, weg von allem, was uns von unseren Wurzeln entfernt."
Die strenggläubige Gemeinde auf dem Land, praktisch mitten auf dem asiatischen Kontinent, wurde kleiner; sie zersplitterte sich, als die Terror-Anschläge der Gon-Orbhon-Jünger schlimmere Formen annahmen. Vabian wurde in seinem Glauben starrer und strenger, lehnte schließlich Technik ganz ab.
Cleo erinnerte sich noch gut an das Hüttendorf: sie und Vabian allein und unter primitivsten Bedingungen, immer das Ende der Welt vor Augen. Sie litten beide: er an seiner Insektenphobie und seinen Allergien, sie an Übelkeitsanfällen und Schwindelgefühlen. „Das ist eine Strafe Gon-Orbhons", begründete er seine Probleme. „Ich führte ein falsches Leben. Es ist die Läuterung, die der strafende Gott schickt, bevor er die Menschheit vernichten wird."
Für ihre Probleme fand er kein Wort, bis sie es endlich selbst erkannte: Sie war schwanger. Schwanger am Ende der Welt, abgeschnitten von jeglicher Technik, weit entfernt von einem Mediker oder robotischer Hilfe, ohne Freunde, Bekannte und Verwandte. „Das Ende der Welt ist nah", wimmerte sie in das schmutzige Bündel, auf dem sie tagsüber und in der Nacht vegetierte, in einer primitiven Hütte, durch deren dünne Wände der Wind pfiff. Sie wollte kein Kind auf die Welt bringen, die dem sicheren Untergang geweiht war, und sie flüchtete sich in eine Abfolge düsterer Träume und grauer Tage. „Und jetzt ist das Ende wieder da", sagte sie, während sie Vabian direkt in die Augen blickte. Er wich nicht aus, zuckte nicht einmal.
Cleo lehnte sich gegen die Wand, streckte die Raumfahrerstiefel von sich. Auch er ließ sich an der Wand niedersinken. Ihre Füße waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Doch Cleo kam es vor, als kondensiere die Luft zwischen ihnen zu einer Mauer aus Glas und Eis. „Wir müssen reden", sagte sie. „Es ist Zeit." Er öffnete den Mund, doch sie kam ihm zuvor. „Und nerv nicht, von wegen >Ich hab's ja gleich gesagt<, weil ich dann gleich wieder aufhöre. Jetzt ist die Zeit."
Sie sammelte Speichel in ihrem Mund, spuckte aber nicht aus. „Jetzt steht unser privater Weltuntergang nämlich wirklich bevor, nicht irgend so ein Mist von Carlosch Imberlock."
Sie redeten tatsächlich: an diesem Tag und an den folgenden. Sie sprachen über die gemeinsame Zeit, über die Geburt ihres Kindes: in einer Höhle, im Sand, in dem Cleo mit ihrem eigenen Po eine Kuhle geformt hatte.
Vabian half, so gut er konnte, und das war schlecht genug. Er benutzte heißes Wasser, halbwegs saubere Tücher und ein Messer, das er selbst gewetzt hatte.
Und als Cleo in ihrem Schweiß lag, weinend, seufzend und zitternd, nahm er das Kind mit sich, einen Jungen, den sie Fredrick nannte. Hinaus ans Tageslicht, um es seinem Gott zu weihen
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