2347 - Die HeiÃe Legion
die Beherrschung, sogar dann nicht, als Chyndor seine kühldistanzierte Analyse des Geschehens lieferte.
Zwar verließ er für einige Minuten den Raum, um allein zu sein - wie gut kann ich das verstehen -, doch er blieb so gefasst, wie es ihm nur möglich war. In seinem noch jungen Leben hat er bereits zu viele Erfahrungen mit Tod und Tragödien sammeln müssen, um nun zusammenzubrechen.
Ich habe mich von Anfang an nicht getäuscht. Kantiran empfindet viel für die Cyno. Ob er sie tatsächlich liebt, wage ich nicht zu beurteilen. In seinen Augen glomm jedoch stets dieser Funken, wenn er in ihrer Nähe war, bis...
Ja, bis Cosmuel Kain vor wenigen Stunden verschwunden ist. Seitdem ist aus dem Funken ein loderndes Feuer geworden.
Kantiran hat sich nicht mit Cosmuels Tod abgefunden, falls ihr seltsames Verschwinden tatsächlich gleichbedeutend mit ihrem Sterben ist. Dieses Thema ist noch lange nicht ausgestanden, und jetzt wird Kantiran zur Tat schreiten.
Ob es sich im Zusammenhang mit der Vollversammlung und dem erhofften Umsturz als Segen erweisen wird, wage ich zu bezweifeln. Aber ich hindere ihn nicht.
Nichts könnte ihn hindern. Ihm ist es gleichgültig, dass er wahrscheinlich großes Unheil heraufbeschwört.
*
Die beiden Friedensfahrer bezogen leer stehende Wohneinheiten im selben Gebäude. Die Verabschiedung war knapp; sie vereinbarten, in einer Stunde gemeinsam das Haus zu verlassen und sich in das Getümmel auf Ellegatos Straßen zu stürzen.
Kantiran hätte nur mit dem Servo Verbindung aufnehmen müssen, um die Wohnung seinen Bedürfnissen entsprechend ausstatten zu lassen, doch danach stand ihm momentan nicht der Sinn.
Da sie ein für Humanoide geeignetes Gebäude ausgewählt hatten, stand ihm alles grundlegend Notwendige zur Verfügung. Der zwanzig Quadratmeter große Raum verfügte neben einem Bett, einer Sitzgelegenheit und einer Hygienezelle auch über ein Terminal, mit dessen Hilfe Kantiran Kontakt zum Orakel aufnehmen konnte.
Genau das tat er.
Kaum stand die Verbindung, ließ er die Bombe platzen. „Ich möchte einen Mord melden."
„Einen Mord auf Fumato?", fragte das Orakel. Die Biokomponente des hochleistungsfähigen Großrechners wirkte völlig verblüfft. „Nicht hier auf dem Mond, sondern beim Einflug in das System."
„Was wünschst du?"
„Leite etwas für mich an das Patronat weiter. Eine Anfrage. Eine Bitte um Unterstützung. Der Schuldige muss gefunden und bestraft werden."
„Ich werde deinen Wünschen entsprechen", versicherte das Orakel. „Ob das Patronat allerdings Zeit finden wird, sich mit diesem dubiosen Vorgang zu beschäftigen, ist fraglich. Es gibt ..."
„Dubioser Vorgang?", ereiferte sich Kantiran. In diesen Sekunden zeigte sich wieder einmal, dass Orakel zwar eine ungewöhnliche, aber durchaus angebrachte Bezeichnung für den Großrechner war.
Seine Feststellungen waren manchmal alles andere als präzise und eindeutig. „Es handelt sich nicht einfach nur um einen Vorgang, sondern um einen Mord! Hiermit beschuldige ich die Heiße Legion offiziell des Mordes an Cosmuel Kain!" Er schilderte die näheren Umstände.
Es dauerte ungewöhnlich lange, bis das Orakel etwas erwiderte. Offenbar war die Biokomponente völlig außer Fassung geraten. Kantirans Blick wanderte über die kahlen weißen Wände, aus denen vereinzelt dicke Holzbalken ragten, wohl ein Faible des Architekten, der das Haus entworfen hatte. In Kantirans Augen eine unnütze Zier. „Die Legion mordet nicht. Sie urteilt und richtet, wo es notwendig ist."
„Solcherlei offizielle Stellungnahmen interessieren mich nicht", rief Kantiran erbost. „Cosmuel Kain hätte meine Novizin werden sollen. Sie war den Friedensfahrern freundlich gesinnt! Die Heiße Legion hat nicht gerichtet, sondern gemordet. Falls das Patronat über Verbindungen zu der Schutztruppe verfügt, die nicht offiziell bekannt sind, beantrage ich hiermit, dass diese Kontaktmöglichkeit zur Klärung des Sachverhalts genutzt wird."
„Der junge Aufrührer hat gesprochen. Das Patronat wird von deiner Anschuldigung erfahren."
Kantiran kappte die Verbindung. Er erwartete keine Resonanz auf sein Anliegen, aber er hatte sich Luft verschafft, und er zweifelte nicht daran, dass die Enthonen davon erfahren würden.
Gegebenenfalls konnte er sich später darauf beziehen. Die Enthonen würden genauso reagieren wie das Orakel - an der Integrität der Heißen Legion zu zweifeln war undenkbar.
Doch in diesen Tagen stand das Undenkbare auf
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