2359 - Das Stumme Gesicht
Zweckgemeinschaften zusammenfanden, ergab dies immer wieder die seltsamsten Situationen. Egomane, selbstverliebte und gleichzeitig größtmöglicher Freiheit verpflichtete Wesen waren sie allesamt; manche dachten und handelten konsequent anarchistisch, manche waren bis unter die Haar- und andere Wurzeln philanthropisch eingestellt. Ein Zusammenleben der Friedensfahrer konnte vielleicht für geraume Zeit gut gehen, aber war es denn ein Wunder, dass es die meisten von ihnen nicht ruhig an einem Ort hielt? Dass sie immer wieder ausschwärmten und Abenteuer suchten? „Kantiran?" Sie strahlte den Suchruf über die campinterne Funkleitung aus und wiederholte ihn nach einer halben Minute. „Was gibt's?" Das zerknautschte und müde Gesicht des selbsternannten Sternenvagabunds tauchte auf einem Bildschirm auf. Cosmuel hatte ihn aus dem Schlaf gerissen, wie sie mit einer gewissen Genugtuung feststellte. „Ich melde mich ab. Polm braucht meine Hilfe in der Stadt. Die Roboter erledigen die Routineauswertungen; du stehst auf Bereitschaft, sollten sich irgendwo Komplikationen ergeben."
„Hat Polm etwas gefunden?" Plötzlich wirkte Kantiran hellwach. „Wir wissen es noch nicht. Es gab ein paar seltsame Vorfälle. Die Aufzeichnung habe ich dir bereits überspielt. Auf bald ..."
Cosmuel unterbrach die Verbindung, bevor Kantiran irgendetwas sagen konnte. Sie hatte kein Interesse an Diskussionen.
Cosmuel Kain nahm ihre Ausrüstung an sich und bereitete sich gewissenhaft auf ihren Ausflug vor. Schließlich verließ sie Camp Sondyselene durch eine der Stadt La Untique zugewandten, gut getarnten Schleusen und stellte ihren Schutzanzug auf Autopilot. In wenigen Minuten würde sie den Funkturm und Polm Ombar erreichen.
Kantiran ... was für ein bemerkenswerter Mann! Er war nicht nur das Kind zweier Welten, er war nicht nur der Sohn Perry Rhodans und schon gar nicht das Ergebnis traditioneller arkonidischer Erziehung alleine.
Er war ein Wirbelsturm, der einen unwiderstehlichen Sog erzeugte, alle mit sich riss, ein Feuer der Begeisterung in allen Wesen erzeugte. Kantiran, der geborene Anführer, schaffte es als einer von wenigen, trotz seiner relativen Jugend die Friedensfahrer zu einen und auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Ja - selbst die sanfte Revolution gegen die Enthonen hatte in seinem Herzen ihren Ausgang gefunden.
Noch, so glaubte Cosmuel, hatte sich nicht entschieden, in welche Richtung sich die Friedensfahrer weiterentwickeln würden.
Immerhin war die Gemeinschaft über mehrere Jahrhunderte hinweg strikten Selbstbeschränkungen gefolgt, die nunmehr beiseitegeschoben oder gar zerstört worden waren. Es würde sicherlich seine Zeit dauern, bis dieser Akt der Selbstfindung vollends vollzogen war und die intergalaktische Friedenstruppe ganz genau wusste, was sie eigentlich wollte. Kantiran,. so viel stand für sie fest, hatte das Zeug in sich, diese Zukunft zu definieren. Chyndor, der nominelle „Anführer" der Friedensfahrer, hatte ihm lediglich die Erfahrung voraus.
Irgendwann, wenn es der Sternenvagabund es denn wollte, würde er ihn ablösen.
Und welche Rolle würde sie spielen? Die kleine, bislang völlig unbedeutende TLD-Agentin, die eines Tages aufgewacht war und festgestellt hatte, dass Cyno-Blut durch ihre Adern floss?
Sie himmelte Kantiran an, und sie hasste ihn dafür, dass er mit dieser Gestaltwandlerin namens Ejdu Melia ein wie auch immer geartetes Verhältnis gehabt hatte.
Am liebsten wäre sie abgereist, hätte sich einen einsamen Planeten gesucht, auf dem sie sich verstecken und dem Selbstmitleid ergeben konnte.
Was geschah bloß mit ihr? Sie reagierte doch sonst nicht so sensibel! Nahm irgendwer Einfluss auf sie, oder entdeckte sie bloß neue Seiten an sich?
Cosmuel schüttelte den Kopf, als könne sie damit die Verwirrung aus ihren Gedanken verbannen. Stets war sie stolz auf ihren Verstand und ihre Fähigkeit gewesen, private Dinge von „geschäftlichen" zu trennen. Ihre dicht gefüllten Heftchen voll Gedanken und Gedichten waren die Schnittstelle zwischen diesen beiden Bereichen. Aber nun, da sie diesem bärtigen, so ungemein liebenswerten Monster tagtäglich in die Augen blicken musste, hatte sich alles geändert. Die Wertigkeiten verschoben sich ständig, und sie war kaum noch in der Lage, die Arbeit zu ihrer eigenen Zufriedenheit auszuführen.
Sie wollte Friedensfahrerin werden. Sie war der Meinung, diesem verrückten und liebenswerten Haufen. eine Menge geben zu können. Viel mehr als
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