236 - Gestrandet
das Fem-Id aus der letzten Schicht nur eingebildet? Wenn ja, war auch dies kein Grund zur Freude: Halluzinierende Medien konnten Moriarty nicht erfreuen. Er durfte deswegen nichts davon erfahren.
Kenner kurvte durch die Abteilung, in der Leinster und andere Spezialisten konzentriert Geräte bedienten, von denen er nicht wusste, welchen Zweck sie erfüllten. Diese Männer waren qualifizierte Ingenieure. Sie brachten ein U-Boot mit zweihundert Mann Besatzung von Pontius nach Pilatus und brauchten dabei nicht einmal aus dem Fenster zu schauen. Er selbst war nur ein lumpiger Spitzel einer Behörde, die Dinger drehte, von denen die Menschheit – der Präsident vermutlich eingeschlossen – nichts wissen durfte.
Kenner empfand seinen Job trotzdem als wichtig für die nationale Sicherheit, er hatte ihn nie als schmutzig angesehen. Nun lief er aber Gefahr, zum Verräter zu werden. Das war in diesen Kreisen durchaus üblich, aber er wollte es nicht! Er liebte sein Vaterland doch.
Agent Nummer Zwo würde sich irgendwann mit ihm in Verbindung setzen, das schien sicher. War es klug, bis dahin zu warten? Nein. Je früher er ihn kannte, umso besser. Kenner nahm sich vor, ihn aufzuspüren. Was aber sollte er tun, wenn es gelang? Nummer Zwo eliminieren? Unmöglich. Er war doch kein Killer, selbst wenn es um das Wohl des Vaterlandes ging. Vielleicht war das auch gar nicht möglich, weil der Parasit es verhindern würde. Er wusste es nicht und er verzweifelte fast daran. Ein echter Offizier wüsste sicher, was zu tun ist… Er selbst war nämlich trotz Patent kein echter Offizier. Ein im Schnellkurs angelernter bestenfalls, wenn man die Sache großzügig betrachtete.
Vielleicht würde er es wissen, wenn er Nummer Zwo aufgespürt hatte… Er knöpfte sich die Brücke vor, heftete sich an ein Id nach dem anderen und suchte nach Impulsen, die nichts mit der Arbeit ihrer Besitzer zu tun hatten. Er knöpfte sich Junior Lieutenants und Lieutenants vor, dann den ersten Lieutenant Commander. Die USS VENGEANCE war kein Schiff, in dem junge Männer in Overalls ölige Lappen und Schraubenzieher schwangen. Dieses Zeitalter war vorbei. Das Boot wurde von diplomierten Ingenieuren – manche hatten gar einen Doktortitel – gefahren. Der Stab bestand nicht aus dumpfen Kommissköpfen, sondern aus Studierten.
Die Unteroffiziere waren die Creme der amerikanischen Marine. Auf einem Schiff, das praktisch unbegrenzt unter Wasser bleiben konnte – was nur die Bedürfnisse der Menschen an Bord verhinderten – und in dessen Forschungsstätten Spezialisten Dinge austüftelten, von denen die Killerbrigaden der Geheimdienste mehr profitierten als das Verteidigungsministerium, brauchte man niemanden, der nur mit einem Hammer auf einen Meißel schlagen konnte.
Da Kenner keine Gedanken lesen konnte, musste er darauf hoffen, Nummer Zwo bei einem verdächtigen Tun zu erwischen, denn der andere Agent würde sich bestimmt niemandem anvertrauen, sodass er es über ein Gespräch hätte erfahren können. Wie aber konnte »verdächtiges Tun« aussehen? Kenner schwindelte. Hier Erfolg zu haben, schien ihm ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Und doch, was blieb ihm übrig?
Bob Kenner ließ diese Klientel links liegen. Er ging so hoch oben wie nur möglich. Er glitt durch Risse und Löcher in Holz und Metall. Er heftete sich an die Ids von Menschen, die im Boot unterwegs waren. Er glitt durch Diensträume, Quartiere und Vorratskammern. Er schwebte durch die Kombüse und das Kasino.
Er lauschte, sondierte, speicherte. Er behielt alles im Blick, hielt Ausschau nach herabgezogenen Mundwinkeln, verkniffenen Mienen und finsteren Blicken. Er horchte nach disharmonischen Klängen und achtete auf Anzeichen von Wut, Enttäuschung oder Frustration.
Kenner fand einen vor sich hin brütenden Sergeanten, der seiner Frau schrieb, er wolle sich von ihr trennen. Er fand einen weiblichen Lieutenant, der unglücklich in Rear Admiral Clark verliebt war und in seinem Quartier wie ein Schlosshund heulte. Sonst nichts.
***
8. Februar 2525, Freihandelszone Lanschie, antarktisches Hinterland
Die Soldaten der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Clarkland gingen daran, die erschossenen Terroristen und ihre drei toten Kameraden auf die Transport-Plattform zu laden. Dabei stellten sie fest, dass die verwundete Terroristin, die durch den Schulterschuss gefechtsunfähig gemacht worden war, per Giftkapsel den Freitod gewählt hatte. Der blonde Hüne tauchte nicht mehr auf, er war
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