2376 - Tolle Tage in Terrania
.Sarg hätte Matheux nie enden wollen. Ihn schauderte bei der Vorstellung, eine solche Existenz zu fristen.
Andererseits musste er sich den Vorwurf gefallen lassen, dass es ihm nicht selten an Antrieb, Biss und Bereitschaft, sich selbst zu überwinden, gemangelt hatte. In puncto Intelligenz war er immer einer der Besten, Schnellsten, Fixesten gewesen. Wie es so schön hieß: viel versprechend. Bloß war es beim Versprechen geblieben; eingelöst hatte er es nie.
Den einsamen Höhepunkt seiner Karriere hatte er schon in sehr jungen Jahren erreicht. Noch während des Studiums hatte Matheux beiläufig, quasi aus der Hüfte, ein hyperphysikalisches Theorem aufgestellt, durch das er schlagartig in akademischen Kreisen bekannt geworden war.
Nachgekommen war nichts mehr.
Trotzdem zehrte er nach wie vor davon.
Mit der Erhöhung der Hyperimpedanz taten sich neue Anwendungsbereiche für die Alan-Bari-Gleichung auf, und man erinnerte sich plötzlich wieder an den, der sie formuliert hatte.
Deswegen war er an die Waringer-Akademie berufen worden. Und aus demselben Grund hatte ihn am vorigen Tag eine Anfrage aus dem Forschungszentrum Merkur-Alpha ereilt. Es galt, einen wichtigen Abteilungsleiter-Posten neu zu besetzen - und man offerierte ihm die Stelle!
„Kann es sein", fragte Siderip lächelnd, „dass wir uns langsam dem Kern der Sache nähern?"
*
Etwas an der Geschichte des mürrischen Zottels berührte ihn. Hajmo benötigte keine tiefenpsychologische Supervision, um zu erkennen, was es war.
Mit Fug und Recht konnte man Alan-Bari ein vergeudetes Genie nennen. Und gab es da nicht Parallelen zu Hajmos eigener Situation? Auch ihn hatte man einen Senkrechtstarter genannt, auch ihm einen raketengleichen Aufstieg prophezeit. Und jetzt?
Wo stand er jetzt? An der Glasfront seines sündteuren Appartements, auf den Rhuoshui-See hinabstarrend, an dessen anderem 'Ufer seine primäre Wirkungsstätte lag, die Universität von Terrania.
Dozent durfte er sich schimpfen: Dozent.
Bravo! Mehr ist nicht aus dir geworden, Goldjunge? Bloß ein Lehrer mit einem etwas hochtrabenderen Titel und einer - sogar in Zeiten wie diesen - lächerlich spärlich frequentierten Privat-Ordination ...
Hajmo rief sich zur Ordnung. Sein Klient besaß das Recht auf volle Aufmerksamkeit. „Unverhofft kommt oft", rettete er sich in einen billigen Gemeinplatz. „Auf einmal ist da wieder eine ganz große Chance. Und das belastet dich?"
„Brillant. Um auf diesen Gedanken zu kommen, brauche ich keinen Seelenschuster", knurrte Alan-Bari, ungeniert in der fleischigen Nase bohrend. „Abgesehen davon, dass die Ehre eine relative ist."
Er sei nicht blöd, sagte er; und sich sehr wohl der Tatsache bewusst, dass er den Ruf nach Merkur-Alpha lediglich einer gewissen Ausblutung verdankte.
Zahlreiche Wissenschaftler waren zum Geheimstützpunkt Charon abgewandert.
Frisches Blut von außerhalb kam kaum nach, seit die Belagerung der Terminalen Kolonne TRAITOR das Solsystem vom Rest der LFT faktisch abschnitt. „Gleichwohl freust du dich."
„Ja." Übrigens stank der Zottel keineswegs, sondern strömte einen leichten Veilchengeruch aus. Hajmo kannte das Parfum; Nuoriel verwendete es gelegentlich. Doch darum ging es hier nicht. „Gratulation", sagte er. „Ein Anlass zum Feiern. Aber statt ihn mit >erbaulicher Lektüre bei guter Musik und einem feinen Weinchen< zu zelebrieren, bemühst du dich verzweifelt um einen Termin bei jemandem wie mir. Warum, alter Mann?"
Der Hyperphysiker glotzte schweigend ins Leere. Hajmo verlor die Geduld. Er beugte sich über den Tisch und schlug mit der flachen Hand auf die durchsichtige, hauchdünne Platte, die zu schwingen begann und einen hohen, singenden Ton produzierte, ähnlich dem einer Glasharfe. „Wir haben nur mehr knapp zehn Minuten.
Raus mit der Sprache!"
„Ich ... ich war noch nie weg", gestand Alan-Bari kleinlaut. „Dort draußen, meine ich. Ich habe Terra in meinem ganzen Leben nicht verlassen."
Ein Heimschläfer, dachte Hajmo, fast ein wenig enttäuscht. So nannte man Menschen, die sich von ihrem Heimatplaneten nicht trennen konnten, und sei es für eine noch so befristete Zeitspanne. „Ich nehme an", sagte er in heiterem Tonfall, „dass du dir die rationalen Argumente schon selbst aufgelistet hast.
Erstens: Der Merkur liegt innerhalb des Sonnensystems und des TERRANOVA-Schirms, praktisch nur einen Katzensprung entfernt. Zweitens: Im dortigen Forschungszentrum sieht es garantiert nicht viel anders
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