2377 - Escher
darum, eine Positronik mit dem Geist des Menschen derart zu koppeln, dass sie geradezu verschmolzen.
Oder genauer gesagt mit den Bewusstseinen von vierundsechzig Menschen.
Savoires Gedanken jagten sich. Er rief sich in Erinnerung, was er zu diesem Thema gehört hatte. Die Blockbildung von Bewusstseinen führte nicht zur einfachen Aufsummierung ihrer Kräfte und Fähigkeiten, sondern das Ganze bildete mehr als die Summe der Teile. Nach allen Beobachtungen, die schon vor langem mit den Konzepten durchgeführt worden waren und die auch von Versuchen mit Parabegabten bekannt waren, verhielt es sich „ähnlich wie das Verhältnis zwischen der Kantenlänge und dem Volumen eines Kubus, die in der dritten Potenz zueinander standen.
Wenn also vierundsechzig Bewusstseine miteinander vernetzt wurden, entsprach dies dem ... Savoire konnte die Zahl kaum fassen ... dem 262.144-Fachen der ursprünglichen Einzelleistung. Das Ganze vernetzt mit einer Positronik... „Ich reiße dich nur ungern aus deinen offensichtlich schwärmerischen Gedanken, aber ich habe nicht ewig Zeit." Kowa trat an ein Kommunikationspult, das in der Mitte der Gedankenkammer stand. Es mochte etwa zwanzig Meter messen und war mit zahlreichen Zugangsterminals und Bildschirmen versehen, die allerdings sämtlich tot waren. „Dies ist die zentrale Schnittstelle. Wenn das Konstrukt namens ESCHER zu funktionieren beginnt, wird sie zum Leben erwachen."
„So weit ist es allerdings noch lange nicht."
In Kowas Blick trat etwas Schwärmerisches. „Aber irgendwann wird sie sich einschalten und zu ihren Schöpfern Kontakt aufnehmen."
Dieser plötzliche Anflug von Fanatismus schien gar nicht zu Kowa zu passen. In diesem Moment begann Savoire zu ahnen, dass mehr in seinem neuen Vorgesetzten steckte, als dessen unausstehliches Verhalten ahnen ließ.
Savoire ließ den Blick durch die Gedankenkammer schweifen. „Wie lange dauert eine ... Schicht für die Prozessoren?"
„Manche kommen stundenweise her, manche tageweise."
„Um wie viele handelt es sich insgesamt?
Sind immer alle Kreuzkokons besetzt?
Welche Qualifikationen müssen die Bio-Prozessoren erfüllen? Wie ..."
„So viele Fragen? Zügle deine Neugier. Du bist gerade einmal seit....", Kowa blickte auf ein Chronometer über dem Eingang in die Gedankenkammer, „... zehn Minuten hier. Zu früh, um alle Fragen beantwortet zu bekommen."
„Du hast von Glückstreffern gesprochen, mittels derer ESCHER funktionierte. Was hat es damit auf sich?"
„Die Leistung des Verbundes ist in diesen Momenten geradezu explodiert. Das auch zu deiner anderen Frage - die Prozessoren sind allesamt hochkarätige Wissenschaftler. Forscher aus allen Wissensgebieten. Jeder verfügt über andere Stärken. Noch arbeiten sie nicht richtig zusammen. Die Synchronisierung der verschiedenen Bewusstseine stellt das Hauptproblem dar. Eine Blockbildung über längere Phasen scheint undenkbar."
„Scheint undenkbar?", wiederholte Savoire. „Sind das die Worte eines Wissenschaftlers, der nach eigenem Bekunden nur nüchtern und logisch denkt?"
Rodin Kowas Finger trommelten auf dem Kommunikationspult. Nun erst, da das Klackern durch den weiten Raum hallte, bemerkte Savoire, wie still es ansonsten war. Von den Kreuzkokons drang kein einziges Geräusch, die Terraner lagen völlig still. Für einen Augenblick lief ihm ein Schauer über den Rücken. Das alles hatte etwas Unheimliches... ... und als Laurence Savoire in dieser Nacht schlief, lagen die terranischen Prozessoren in seinem Traum nicht mehr schlafend in den Kreuzkokons, sondern sie waren tot. Starre Augen glotzten blicklos aus bleichen Gesichtern durch die Gedankenkammer, in deren Mitte das Kommunikationspult erwachte und auf seinen Bildschirmen Datenkolonnen ablaufen ließ.
*
„Es ist nichts", sagte Savoire am Vormittag des 6. Oktobers in seiner kleinen Wohnung zu seinem Freund Baldwin Carapol. War es wirklich erst wenige Stunden her, seit er in der Gedankenkammer gestanden hatte? „Ich habe schlecht geschlafen. Ein Albtraum."
Carapol schob seine Schirmmütze zurecht. „Das lässt darauf schließen, dass dein Gespräch mit Kowa nicht besonders gut lief. Tut mir leid."
„Nein; nein." Savoire trank den doppelten Espresso mit einem einzigen Schluck. Die heiße Brühe brannte auf der Zunge und in der Kehle. Der bittere Geschmack ekelte ihn, aber er konnte einen Koffein-Schub gebrauchen. Erst als er die Tasse wieder abstellte, fiel ihm ein, dass Kowa gestern genau dasselbe
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