2378 - Der Erste Kybernetiker
werden. Die Parapositronik konnte darauf keinen Zugriff erlangen.
Savoire war nun in der Lage, das Geschehen an vielen zentralen Stellen des Gebäudes jederzeit zu beobachten und sich Aufzeichnungen auf seine private Kommunikationseinheit übertragen zu lassen. Der Antigravschacht bildete dabei einen der unwichtigeren Orte, und doch wäre gerade diese Aktion ihm beinahe zum Verhängnis geworden.
Wieder einmal stellte er schmerzlich fest, dass ihm solche geheime Arbeit nicht lag; als TLD-Agent wäre er wohl ein völliger Versager gewesen. Noch immer schlug sein Herz schneller als gewöhnlich, und sein Magen bestand aus einer schwammigen Masse.
Er ging ziellos den Korridor entlang und bemerkte beiläufig, in welchem Stockwerk er den Schacht verlassen hatte. Aus einem kleinen Aufenthaltsraum drang der Ton einer Trivid-Sendung. Er warf einen Blick hinein; eine Mathelogikerin, sah sich eine Diskussion an, die ein sichtlich gelangweilter Moderator mit - einem Insektoiden führte, der unablässig mit seinen drei Armpaaren fuchtelte. Savoire erkannte die Zuschauerin, ohne sich konkret an ihren Namen erinnern zu können. Er hatte sie nach Sybel Bytters Tod selbst als deren Nachfolgerin angestellt.
Sybel ... War sie wirklich erst seit so kurzer Zeit tot? War es erst wenige Wochen her?
Gedankenverloren verfolgte er die Sendung, deren Niveau etwa dem musikalischen des Gejaules einer Katze entsprach, die in der Nacht den Mond ansang. Er lehnte noch immer gegen den Rahmen der offen stehenden Tür, als jemand hinter ihm seinen Namen nannte.
Er erkannte die Stimme sofort. Diesmal handelte es sich tatsächlich um einen der Avatare. Der Erste Kybernetiker drehte sich langsam um. „Was kann ich für dich tun, Merlin?" Dich vielleicht zu deinem aktuellen Überwachungsbesuch willkommen heißen?
Er fragte sich, ob ESCHER ahnte, wie viel Rebellion in ihm lag. Wohl kaum, sonst hätte die Parapositronik ihm nicht solche Freiheit gelassen. Zweifellos hätte sie lieber auf seine Fähigkeiten verzichtet, als einen potenziellen Feind in ihrer Nähe zu dulden. Nach wie vor konnte er nichts unternehmen, was ESCHER direkt schadete, weil sonst der Hypnoblock sofort zuschlug - aber indirekter Widerstand war ganz offensichtlich möglich.
Myhr lächelte sein eisiges Lächeln; das etwa so viel Sympathie weckte wie ein angreifendes Raubtier. „ESCHER hat beschlossen, seinen Ersten Kybernetiker über die neuesten Entwicklungen in Kenntnis zu setzen. Aber nicht hier."
„Dieser Ort ist so gut wie jeder andere."
„Ohne Zuhörer, ja." Myhr deutete an Savoire vorbei in den Aufenthaltsraum.
Diesem Argument konnte sich Savoire nicht verschließen.
Der Avatar wandte sich um. „Folge mir ins Sicherheitsbüro. Dort sind wir ungestört."
Wenn du wüsstest, dass ich dort eine Minikamera installiert habe, würdest du anders denken. „Ich bin gespannt."
Schweigend legten sie den Weg zurück.
Im Büro empfing sie Pal Astuin, Savoire hatte es nicht anders erwartet. Der ehemalige TLD-Agent sah den Neuankömmling nicht an; seine dunklen Augen bewegten sich unablässig, weil er den Text auf einer Folie las, die er in der Hand hielt. „Setz dich, damit wir zur Sache kommen können."
Der Erste Kybernetiker hatte sich an den kühlen Umgang längst gewöhnt. Er verschränkte die Hände ineinander und legte sie in den Schoß.
Merlin Myhr blieb stehen. „Der Bewusstseinsanteil der Parapositronik wächst und wird mit jeder Person, die in ESCHER eingeht, stärker."
„Ich weißt So lautete doch euer Plan, oder?"
„Leider gibt es keine von vornherein festgelegten personellen Lösungen, welche Prozessoren in die Hyperdim-Matrix eingebunden werden sollen. Die Wahl geeigneter Persönlichkeiten ist ein aufwendiger, individueller Prozess. Wir gehen Schritt für Schritt vor, denn mit jedem neuen Prozessor wächst die Erkenntnis, wer oder was uns noch fehlt."
Savoire rieb die Finger unruhig aneinander. „Also geht es um die wissenschaftliche Kompetenz?"
„Nicht nur. Genau genommen ist das reine Fachwissen nur ein winziger Bruchteil dessen, was ESCHER benötigt. Jedes Bewusstsein kombiniert auf einzigartige Weise Können und Fähigkeiten, Stärken und auch Schwächen. Gerade diese vermeintlichen Schwächen sind manchmal sehr wichtige Bestandteile eines Charakters, was diesem wiederum einen ganz anderen Stellenwert in der Hyperdim-Matrix zuweist. Und das heißt nicht, einen weniger wichtigen, sondern nur einen anderen."
„Warum teilst du mir das
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