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239 - An der Pforte des Hades

239 - An der Pforte des Hades

Titel: 239 - An der Pforte des Hades Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Zorn
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festhielt. »Muss das sein?« Ihre Stimme klang wie klirrendes Glas. »Lassen Sie mich meinem Sohn erklären!« Ihr Gegenüber starrte sie ungerührt an. Bei ihm würde sie nicht weiter kommen. Hinter ihr fluchten die Soldaten, denen Chichi offensichtlich entwischt war. »Wer ist hier der Befehlshabende?«, rief Rose.
    »Ich bin das.« Einer der draußen Wartenden kam schwerfällig auf sie zu. Beim Laufen hing sein rechter Arm unnatürlich steif am Körper. »Ich werde mich Ihres Sohnes annehmen, Rose.« Spott lag in seiner Stimme. »Und wenn Sie mir verraten, wohin Wakaido sich verkrochen hat, werde ich versprechen, besonders nett zu dem Kleinen zu sein.«
    Der Pharmazeutin stockte der Atem. Ihre Knie waren puddingweich. Sie hatte seine Stimme sofort erkannt. Bei ihr angekommen, schob er seine Fellmütze aus der Stirn. »Ja, genau. Ich bin es, Kommandant Andreij Baschk.«
     
    ***
     
    22. März 2525
    »Ich bin Agat’ol. Ich ergebe mich nicht. Ich ergebe mich niemanden. Ich bin Agat’ol. Ich ergebe mich nicht. Ich ergebe mich niemanden…« Wieder und wieder hauchte er diese Worte. Solange er sie noch denken, noch sagen konnte, war er nicht tot.
    Zum hundertsten Mal öffnete er die Augen. Er lag immer noch am Gestade des Flusses. Die Welt um ihn herum schien in weiße Decken gehüllt. Eigentlich sah alles ganz friedlich aus. Wäre da nicht das Fauchen des Sturmes gewesen. Mit eiskalten Krallen tobten die Böen über den zitternden Körper des Hydriten. Und dieser grauenvolle Schmerz in seinem Kopf. Wie der Sturm nahm auch er mit jedem Atemzug zu.
    »Ich bin Agat’ol. Ich ergebe mich nicht…« Während er die Worte flüsterte, versuchte er den Kopf zu heben. Doch es gelang ihm nicht. Nacken, Torso und Glieder waren unter seinem Schutzpanzer steif gefroren. Er würde hier sterben. Hier am Ende der Welt. Einfach die Augen schließen und schlafen, dachte er. Doch als ob eine unsichtbare Macht genau wusste, was er vorhatte, fuhr ein durchdringender Stich von Schläfe zu Schläfe.
    Agat’ol heulte auf. »Lasst mich! Lasst mich endlich in Ruhe!«, keuchte er. Vor seinem inneren Auge tauchte das blasse Gesicht der Lungenatmerin auf, der er die Schmerzen zu verdanken hatte. Er sah seinen geöffneten Schädel in den Gläsern ihrer goldumrandeten Brille. »Du hast mir das angetan! Was hast du mir in meinen Kopf gepflanzt?« Seine Stimme war nur noch ein unverständliches Krächzen. Das innere Bild löste sich auf und der Schmerz ließ nach.
    Dafür sah er jetzt wenige Schritte entfernt eine schemenhafte Gestalt auf sich zukommen. War sie Wirklichkeit oder wieder nur eine Zerrbild seines verwirrten Geistes?
    Aber ein Zerrbild machte keine Geräusche. Er hörte deutlich das Knirschen von Schnee und das Knacken von brechendem Unterholz. Sie haben mich also gefunden, dachte er erschöpft. Sie werden mich zurückbringen in das Labor. Und diese Brillenfrau wird weiter an mir herumoperieren. Bei Mar’os, war er denn verflucht dazu, immer wieder in der Gefangenschaft dieser Oberflächenkriecher zu enden?
    Ein letzter Rest Wille bäumte sich in ihm auf. Niemals!, schrie es in ihm. Doch er hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren. Schon spürte er kräftige Hände an seinen klammen Gliedern. Er wurde gepackt und über gefrorenen Boden geschleift. Durch Schneeverwehungen und kaltes Gestrüpp. Der Sturm heulte. Unter ihm kreischten und scharrten Eissplitter. Über ihm grunzte und knurrte sein Häscher. Manchmal blieb er stehen und versetzte Agat’ol Tritte.
    So sehr der Hydrit sich auch bemühte, er konnte nicht erkennen, wer sein Peiniger war. Vor seinen Augen hingen nur noch graue Schleier. Irgendwann spürte er auch die Tritte nicht mehr. Er war hinüber geglitten in eine Welt aus Nebel und Dunst. Hier war es still. Seltsame Gestalten tauchten auf und wieder ab. Schließlich sah er sich selbst. In immer schneller werdenden Sequenzen zog sein bisheriges Leben an ihm vorbei. In der Zeit, da er als Beobachter die Menschen erforschte, hatte er oft von ihnen gehört, dass beim Sterben so etwas geschah. Damals hatte er über diese Narren gelacht. Doch nun erlebte er es selbst. Es war die Hölle.
    Nochmals erlitt er, wie ihn sein verunstalteter Schuppenkörper bei den Hydriten zum Außenseiter machte. Wie er in die Gefangenschaft von Barbaren geriet, die ihn wie ein Tier hielten, ihn demütigten und mit Fleisch fütterten. Der Fleischgenuss, der seine Tantrondrüse veränderte und ihn zu einem gierigen Wilden mutieren ließ. Seine

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