24 - Ardistan und Dschinnistan I
leuchten und daß Ssul, der Fluß des Friedens, in jedem Jahrhundert einmal seinen Lauf befeuchtet, scheinen meiner Ansicht nach im Zusammenhange miteinander zu stehen. Das eine scheint die Ursache oder die Folge von dem andern zu sein.“
„Daß die Vulkane speien, wenn der Fluß feucht wird?“ fragte Halef ernst.
„O nein“, lachte ich. „Sondern grad umgekehrt. Nämlich, daß der Fluß Wasser bekommt, wenn die Vulkane sich in Tätigkeit befinden. Denke dir die Massen ewigen Eises, welche da oben in den Bergen aufgestapelt liegen. Dieses Eis, welches man mit dem Tod vergleicht, verbirgt eine unendliche Fülle des Lebens; nur muß man das dem kurzsichtigen Menschen erst extra zeigen und sagen. Und denke dir zu diesem Eis eine wochen- oder gar monatelange Periode vulkanischer Ausbrüche, durch welche eine Glut entwickelt wird, der keine Kälte, und sei sie noch so stark, widerstehen kann. Da schmelzen ganz gewaltige Mengen Eises. Sie werden zu Wasser. Sie rauschen, stürzen und fließen zu Tal. Je größer die Hitze ist und je länger sie dauert, um so mehr wird das tiefere Land vom Wasser getränkt und gesättigt. Die Feuchtigkeit füllt nicht nur Bäche und Flüsse, sie wird auch von der durstigen Erde aufgesaugt wie von einem ausgetrockneten Schwamm und geht in seinen Poren heimlich und ungesehen abwärts bis in die Wüste, wo sie gezwungen ist, in den tiefen Rinnen alter, verschmachteter Wasserläufe zutage zu treten und sich zu offenbaren. Ich halte es für ein großes Glück für uns, daß grad jetzt eine solche Periode begonnen hat. Sie wird unsere Verbündete sein. Sie wird uns selbst in der trockensten Wüste der Tschoban das Wasser geben, welches wir brauchen, um unsere Zwecke zu erreichen. Wir haben weiter gar nichts nötig, als daß wir die Gegend, durch die wir ziehen, nach den Gesichtspunkten der Wasf ul arz oder der Ilmi tabakat-i-arz (Geologie) auswählen? Wenn wir das tun, so –“
„Sei still, sei still!“ fiel er mir in die Rede. „Wir brauchen Wasser, aber keine Wasf ul arz und auch keine Ilmi tabakat-i-arz. Nimm Rücksicht auf mein Unterbewußtsein, wenn ich oben sitze, und erbarme dich meines Oberbewußtseins, wenn ich unten liege, aber verschone mich mit diesen Wissenschaften, die man weder in Schläuche füllen noch in der Kaffeekanne wärmen kann!“
„Gut, lieber Halef! Ich wollte dir nur andeuten, daß es gar nicht schwer ist, eine Gegend daraufhin zu betrachten, welcher Teil von ihr verborgenes Wasser enthält. Wir werden welches finden; ich bin fest überzeugt davon. Und das wird dann wie die Erfüllung einer Verheißung sein, wie die Offenbarung eines großen, seligmachenden Zusammenhanges. Da oben in Dschinnistan öffnen sich in feuersprühender Nacht die Pforten des Paradieses, und die Flammen leuchten die Engelsfrage in alle Welt hinaus, ob endlich Friede sei auf Erden. In der Glut dieser Flamme schmelzen die Gletscher und Firnen und kommen dem Menschen mit ihrer Hilfe sogar bis in die Wüste entgegen, damit es ihm möglich sei, den Frieden, der ihm von aller Welt verweigert wird, mit dem Säbel zu erzwingen!“
Da zuckte ein Strahl des Glückes über das Gesicht meines guten Hadschi und er rief aus:
„Effendi, du weißt, daß ich die Feigheit hasse, die Tapferkeit aber liebe und mich vor keinem Feind fürchte. Der Kampf ist mir, wenn er gute Gründe hat und ehrlich vor sich geht, eine Wonne. Aber ich sehe ebenso ein wie du, daß der Friede besser ist als der Krieg. Wir beide, du und ich, haben kriegerischen Ruhm wohl mehr als genug geerntet; es ist uns erlaubt nun nach dem Frieden zu trachten, ohne daß man uns für mutlos hält. Wir können heimziehen aus der Welt, die sich niemals verträgt und darum unaufhörlich schlägt. Wir können uns Wohnungen bauen, in die der Haß und Streit nicht dringen können. Ich kehre heim zu meiner Hanneh, der herrlichsten Blume, die auf Erden duftet, und bringe ihr zehn Kamelladungen von Teppichen, Decken, Schals und Leinwänden mit, um ihr das schönste aller Zelte zu bauen, das man jemals gesehen hat. Und auch du kehrst heim zum harrenden Weib, welches du deine ‚Seele‘ nennst. Du bringst ihr – ja, Sihdi, was bringst du ihr denn mit? Ihr wohnt ja nicht in Zelten, die man aus leinenen oder baumwollenen Stoffen macht, sondern in Häusern, die man aus – höre, Sihdi, woraus werden diese Häuser gemacht?“
„Aus Mauer- und Ziegelsteinen, aus Holzbalken und Brettern und so weiter.“
„Womit werden sie
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