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24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Schlüssel? In welcher Weise?“
    „Schau her! Man schlägt das Einbiegemesser auf und steckt die Klinge in das Schlüsselloch. Dann macht man das Messer halb wieder zu, indem man das Heft nach unten drückt. Ist dies geschehen, so bildet das Heft einen Drehling, also eine Kurbel, und die Klinge den eigentlichen Schlüssel, den man am Heft so lange dreht, bis das Schloß geöffnet ist.“
    Indem ich das Messer abwechselnd einbog, öffnete, halb wieder zusammenbog und dann am Griffe drehte, zeigte ich dem Hadschi, wie dieser altindische Messerschlüssel zu handhaben war. Er sah mir zu, schüttelte dann langsam den Kopf und sagte:
    „Die Sache ist zwar hochinteressant, aber sie erscheint mir nicht als sehr hoffnungsvoll. Wir haben einen Schlüssel, aber kein Schloß dazu. Und wenn wir es hätten, woher nehmen wir den Tempel, zu dem es gehört? Dieser Tempel hat im alten Indien gestanden. Steht er noch? Und wo? Mit diesem Schlüssel ist es ganz dasselbe, als wenn ich z.B. einen Sporen habe, aber kein Pferd dazu. Ja, wir sind sogar noch schlimmer daran, denn ein Pferd läßt sich jedenfalls eher und auch leichter beschaffen, als ein alter hindustanischer Götzentempel, der höchstwahrscheinlich längst in Trümmern liegt. Ich freue mich unendlich darüber, daß mein Gefühl mich nicht betrogen, sondern uns dazu geführt hat, diesen Schlüssel zu finden; lieber aber wäre es mir, wenn wir anstatt des Schlüssels den Tempel gefunden und anstatt des Tempels nur noch den Schlüssel zu erwarten hätten!“
    „Du verlangst zu viel. Mir genügt das, was ich habe!“
    „Also der Schlüssel!“
    „Nein. Denn wir haben nicht nur ihn, sondern noch viel mehr.“
    „Möchte wissen, was!“
    „Nicht was, sondern wen. Nämlich den, der ihn hierhergebracht und steckengelassen hat. Ob dies der Maha-Lama oder der Minister ist, das bleibt sich für mich gleich. Ich werde bis zum Beweis des Gegenteils der Ansicht sein, daß nicht der Minister, sondern der Oberpriester das Messer besessen hat. Ich will zwar nicht annehmen, daß er es amtlich übernommen hat, aber der Besitz steht höchstwahrscheinlich mit seiner heiligen Würde in irgendeiner Beziehung. Es ist ganz und gar nicht ausgeschlossen, daß er weiß, zu welchem Gebäude der Schlüssel gehört. Ist dies der Fall, so erfahren wir es von ihm, denn wir kommen ja wieder mit ihm zusammen. Dann wird sich herausstellen, ob der heutige Fund uns irgendwelchen Nutzen bringt oder nicht.“
    „Wenn es nach dem Gefühl geht, welches mich zwang, wieder umzukehren und nochmals nachzuforschen, so ist er uns von Nutzen, und zwar von einem sehr großen. Ich bitte dich, Sihdi, das Messer gut aufzuheben. Wenn du wirklich ahnst, daß wir das finden werden, was dazu gehört, nämlich den Tempel, dessen Schlösser es öffnet, so will ich meinen Ausdruck, daß die Sache nicht sehr hoffnungsvoll sei, hiermit zurücknehmen. Auf alle Fälle habe ich hier etwas gelernt, was ich nicht wußte, nämlich, daß es geheimnisvolle Dinge oder gar Personen außer uns gibt, deren Stimmen bis tief in unser Inneres reichen. Denn die Mahnung, zurückzukehren und noch einmal zu suchen stammte nicht von mir selbst, sondern sie kam von außen; das habe ich deutlich gefühlt. Ich bitte dich, jetzt nicht mit mir zu sprechen. Die Sache kommt mir außerordentlich wichtig vor. Ich werde über sie nachdenken.“
    Als er dies sagte, kam mir ein ironischer Hinweis auf seinen ‚gesunden Menschenverstand‘ auf die Lippen, ich drängte ihn aber zurück, weil der liebe Kleine hier nur Aufmunterung, nicht aber Spott verdiente. Er verhielt sich, während wir nun weiterritten, vollständig schweigend. Auch ich war still, doch in Gedanken ebenso beschäftigt wie er, wenn auch auf anderem Gebiet. Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Gegend, durch die wir kamen, und auf die Veränderung, welche sie erlitt, je weiter wir vorwärtsrückten. Der Boden verwandelte sich. Der Humus verschwand. Die Moorerde ging in Sanderde über. Es versteht sich von selbst, daß diese Veränderung sich auch auf die Pflanzenwelt erstreckte. Unser Weg lag zwischen den beiden Extremen des Urwaldes und der Wüste. Er führte von dem einen zu dem andern. Es war im höchsten Grade interessant, nicht nur an den Bäumen, sondern auch an den Büschen, Sträuchern, Stauden, Kräutern und Gräsern zu beobachten, wie sie verschwanden, um von ähnlichen, aber doch ganz anderen ersetzt zu werden. Es war, als ob wir jetzt den Vorzug hätten, den weiten Weg von der

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