24 - Ardistan und Dschinnistan I
hinterindischen Dschungel- nach den westafrikanischen Wüstenregionen in der Zeit von wenigen Stunden zurückzulegen. Der Wald verschwand schließlich ganz. Wir ritten durch eine Steppe, die der Kalahari glich. Ich sah Bastard- und Kameldorne stehen, und daß sich da auch sofort die wilde Gurke einstellte, ist selbstverständlich. Nur da, wo der Sand noch Moor enthielt, traten noch einzelne oder weitläufig gruppierte Bäume auf, doch glichen sie den weitästigen Lebbach- und anderen schattenlosen Albizziarten, welche den Ausdruck der Wüste nicht mildern, sondern steigern.
Halef schien von dem allen nichts zu bemerken. Sein Blick irrte zwar überall herum, war aber inhaltslos. Auch die Arm- oder Fußbewegungen, welche die Verbindung mit dem Pferd forderte, waren rein mechanisch. Er sann und sann und ließ zuweilen einen entweder freudigen oder verdrießlichen, kurzen Ausdruck hören, je nachdem er etwas gefunden zu haben glaubte. Schließlich aber wurde er doch auch auf das, was vorunsern Augen lag, aufmerksam und rief aus:
„Maschallah – Wunder Gottes! Seit ich mich nur immer von innen betrachtet und gar nicht mehr nach außen geschaut habe, ist ja die Gegend ganz anders geworden! Ganz anders und viel schöner, viel schöner!“
„Schöner? Wirklich?“ fragte ich.
„Ja, wirklich schöner!“ antwortete er. „Der Wald ist weg! Der Fluß ist weg! Die Bäume, Sträucher und Gräser sind weg! Die fruchtbare Erde ist weg! Es ist nichts mehr zu sehen als Sand, nur immer Sand, weiter nichts als Sand!“
„Und das nennst du schöner?“
„Natürlich! Genauso wie hier, war es da, wo ich geboren wurde! In den Wüsten des Mogreb (der Westen von Afrika)! Der Mensch findet alles schön, was ihn an seine Heimat, an seine Jugend, an das Glück seiner Kinderzeit erinnert. Schau, wie unsere Pferde hier ganz anders atmen! Wie ihre Muskeln schwellen, ihre Schweife wehen und ihre Hufe spielen! Das kommt vom Sonnenschein, vom Licht und von der freien Luft. Kein stehendes Gewässer dunstet mehr; kein Moderholz, kein giftiger Schwamm hemmt unseren Weg! Der reinste Sand rundum, wie durch ein feines Sieb herabgeweht, im Licht bläulich wie Perlmutter schimmernd. Das ist die Wüste, die ich liebe! Komm, machen wir den Pferden diese Freude! Laß uns einmal jagen! Galopp, Galopp, Galopp!“
Er ließ sein Pferd ausgreifen, und ich war ihm ganz und gern zu Willen. Wir flogen über die vollständig vegetationslose Ebene wie im Sturm dahin. Ben Rih schnaubte vor Wonne. Die Hunde bellten jauchzend. Mein edler Syrr war still, aber jeder Schritt oder Sprung, den er tat, war ein ebenso schöner wie beredter Ausdruck des Entzückens, welches in ihm wohnte und seinen herrlichen Gliedern heut einen ganz besonderen Bewegungsausdruck gab.
Wir ritten so, daß wir eng nebeneinander blieben.
„Schau, Sihdi!“ sagte Halef, indem er nach vorn deutete. „Siehst du es?“
„Ja“, antwortete ich.
„Wie herrlich! Was mag das sein?“
Es gab da vor uns ein Leuchten, Blitzen, Sprühen und Glühen, wie aus einem mitten aus der Wüstenebene hoch emporragenden Leuchtturm, der aber nicht nur oben auf seiner Zinne leuchtete, sondern in seinem ganzen Bau aus Flammen bestand. Aber dieses Feuer loderte nicht. Es blitzte in kurzen, durcheinander gezückten Strahlen, wie aus lauter eng aneinanderliegenden, geschliffenen Facetten. Es war, als rage dort ein riesiger Diamant empor, an dem Millionen von Edelsteinschleifern jahrhundertelang gearbeitet hätten, um seiner ganzen, ungeheuren Fläche die Fähigkeit zu erteilen, das große, ewiggewaltige Unisono des Sonnenlichts in unzählbare, zeitlich kurze Minuten und Sekunden zu differenzieren. Nach langem, schwerem Urwalddunkel bot dieser Strahlenjubel auf unbegrenzter, offener Erdenfläche einen Anblick, den kein Mensch, der ihn gehabt hat, in seinem Leben vergessen kann.
„Was mag das sein?“ fragte der Hadschi, indem er sein Pferd zügelte, um wieder langsam zu reiten und so das Schauspiel länger zu genießen.
„Fragst du die Poesie des Gottesglaubens? Oder fragst du die kalte, zerfetzende Wissenschaft?“ antwortete ich. „Die erstere nennt dieses Zwiegespräch des scheinbar toten Steins mit der Sonne ein Wunder. Wie stets und überall, so führt die wissenschaftliche Erklärung des Wunders aber auch hier zur nüchternen Alltäglichkeit zurück. Sie sagt: Was wir da vor uns sehen, ist ein aus dem Boden emporragendes, glimmerreiches Felsenstück, dessen glasähnliche Partiekelchen im
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