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24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Dschinnistans abgeschlossen wurde. Und mitten in dieser Ausgeschlossenheit und Verlassenheit der schmale, steinerne Engpaß von Chatar, der an jedem Augenblick verschwinden kann, verschlungen von den beiden Meeren, die, unaufhörlich nagend, an ihm zehren. Und auf dem schmalen Tor dieses Passes. Wir paar armselig schwachen Geschöpfe, die wir uns trotz dieser Armseligkeit mit großen Plänen trugen! Wenn wir von oben hinunterblickten, erschien es uns infolge der optischen Täuschung, als ob die Landenge auf dem Wasser schwimme und immerwährend hin und her geworfen werde, um plötzlich umzukippen und mit uns in den Fluten zu verschwinden. Halef setzte sich schnell nieder und sagte:
    „Sihdi, ich kann nicht stehen bleiben, denn mir kommt der Schwindel ins Gehirn. Ich muß mich niederlassen, sonst fliege ich hinab. Geht es dir nicht auch so?“
    „Ein wenig, ja. Doch hoffe ich, daß es nur vorübergehend ist.“
    „Bei mir nicht. Ich fühle, daß ich nicht bleiben kann, sondern hinunter muß. Das Meer sperrt beide Rachen auf, einen rechts und einen links, um mich zu verschlingen!“
    Und sich an Merhameh wendend, fuhr er fort:
    „Was müßt ihr für Augen und für Nerven haben, du und dein Vater! Ich sitze hier auf der Mitte des Tores und bin doch voller Angst und voller Grauen. Ihr aber standet, als ihr gestern und heute sangt, ganz draußen auf der äußersten Ecke. Ich würde da schon gleich im ersten Augenblick hinunterstürzen!“
    „Wir sind es gewohnt“, sagte sie einfach. „Es ist uns unmöglich, den festen sicheren Felsen mit dem trügerischen, beweglichen Wasser zu verwechseln.“
    „Ich habe mir während des Emporsteigens eine Begrüßungsrede einstudiert, die ich deinem Vater halten wollte. Nun sitze ich leider da und kann sie nicht halten! Das tut meinem Herzen weh!“
    „So erlaube, daß ich dir dieses Weh vom Herzen nehme! Steh auf und komm! Ich werde dich führen.“
    „Du? Mich? Hm! Ja, das ginge vielleicht. Aber hältst du mich wohl auch fest?“
    „So fest, daß du gar nicht wanken kannst! Schau, dort ist der Vater. Er wartet. Komm!“
    Wie schon erwähnt, lag hier oben auf der Höhe des Tores ein Steinhaufen, von Büschen umgeben. Diese Büsche wurzelten in der steinernen Querplatte. Wie sie da ihr Leben fristeten, erschien mir wie ein Rätsel. Jetzt sah ich, daß dieser Steinhaufen eigentlich eine Hütte war. Abd El Fadl trat soeben heraus. Er war barfuß wie seine Tochter und ebenso gekleidet. Das einfache, haïkartige Gewand wurde an den Hüften von einer Schnur zusammengehalten. Um den Kopf war ein weißes Tuch von billigster Leinwand derart gewunden, daß zwei Zipfel in sehr eigenartiger, von mir noch nie gesehener Weise bis auf die Schultern niederhingen. Darin steckte vorn eine Nadel, deren Knopf aus einer ganz gewöhnlichen, bleiernen Flintenkugel bestand.
    Abd El Fadl war von hoher, edler Gestalt. Seine ruhigen, sicheren Bewegungen verrieten Charakterfestigkeit und Klarheit über sich selbst. Sein Gesicht war das eines Mannes von schon über sechzig Jahren, der innerlich aber noch Jüngling ist. Die Familienähnlichkeit mit seiner schönen Tochter war nicht zu verkennen. Er besaß alle ihre Züge, nur daß die seinen ausgeprägter, gereifter, fester waren. Sowohl aus ihnen wie aus seinen Augen, seiner Stimme, seinem ganzen Wesen sprach der Ausdruck einer Güte, einer duldsamen Mäßigung und einer wohlwollenden Ritterlichkeit, die mich sofort für ihn gefangen nahmen, und zwar nicht etwa nur für diesen ersten, kurzen Augenblick, sondern für immer.
    Unsere Begrüßung gestaltete sich ganz anders, als zu vermuten gewesen war, besonders aber ganz anders, als Halef es sich gedacht hatte. Dieser letztere stand, sobald Abd El Fadl erschien, von seinem Sitz wieder auf und reichte Merhameh die Hand, um sich von ihr halten und führen zu lassen. Aber der Anblick des tief unten flutenden Meeres benahm seinen Schritten alle Festigkeit. Er wankte wie ein Betrunkener. Er streckte den einen, freien Arm weit aus und warf ihn hin und her, als ob er eine Balancierstange trage. Ich ging mit den Hunden langsam hinter ihm her. So näherten wir uns dem uns erwartungsvoll entgegenschauenden Vater unserer jungen Führerin. Halef konnte sich nicht entschließen, zu schweigen. Er wollte seine Rede loslassen und rief ihm also, noch ehe wir ihn erreichten, zu:
    „Wir nahen dir, o Besitzer dieses festen Felsentores – na – pfui – das wackelt alles! – Um dir zu sagen, daß uns deine

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