24 - Ardistan und Dschinnistan I
Stachelzwinger befindet. Der andere Teil grenzt an den Fluß.“
„Der Stachelzwinger?“ fragte ich. „Derselbe, in dem der Dschirbani steckt?“
„Ja.“
„Kann man ihn im Vorbeireiten sehen?“
„Den Zwinger, ja; den Dschirbani aber nur dann, wenn er am Tor des Zwingers steht, um nachzuschauen, wer vorüberkommt.“
„Ob er wohl merkt, daß sich etwas hier ereignet?“
„Ganz gewiß. Er hat die Schüsse gehört, die hier überaus selten sind, und nun hört er am Getrappel der Pferde, daß wir näherkommen. Ich halte es für wahrscheinlich, daß er an das Gitter getreten ist, um nach der Ursache dieses Lärms zu schauen.“
„Willst du, daß wir ihn retten?“ fragte der Hadschi.
„Ja, ich wünsche es!“ gestand sie ein.
„Gut! So holen wir ihn gleich jetzt, sofort heraus!“ versicherte der kleine Kerl in seiner gutherzigen, aber unbedachten Weise.
„Das nicht, das nicht!“ wehrte sie ab. „Die Hunde würden euch und ihn zerreißen! Wenn ihr ihn retten wollt, so muß es auf andere Weise geschehen. Durch List, durch Zwang! Aber nicht durch einen Kampf mit den Hunden! Die sind abgerichtet!“
„Von wem?“
„Vom Sahahr. Wegen ihrer Gefährlichkeit sind auch sie von den Menschen getrennt, durch den einzigen durchsichtigen Zaun, den es hier in der Stadt gibt. Nur dadurch, daß man sie von außen sieht, wird man abgehalten, sich ihnen zu nähern. Wer sich hinter diesen Zaun wagte, der würde ebenso schnell und sicher zerfleischt wie der Dschirbani, falls er so tollkühn wäre, den seinigen zu durchkriechen oder zu überklettern. Seht! Da drüben, links, beginnen beide Zäune!“
Sie deutete nach der genannten Richtung hinüber. Meine und Halefs Blicke, von einem großen, unwiderstehlichen Interesse getrieben, folgten sofort dem Fingerzeig. Um das, was nun geschah, zu verstehen, muß man sich die Örtlichkeit vergegenwärtigen. Unser Zug bestand aus der Reiterschar und einer Menge von Fußgängern, welche hinter uns herliefen. Er bewegte sich auf dem schon erwähnten Weg, der eigentlich einem Damm glich, weil er zu beiden Seiten von Kanälen eingefaßt wurde, die breiter waren, als die Sprungweite eines guten Pferdes beträgt. Ein Ussulgaul, wie Smihk, wäre gewiß nicht bis zur Hälfte hinübergekommen. Jenseits dieses Wassers lag ein Rasenplatz, der auf eine Breite von vielleicht zwanzig Schritten freigelassen, dann aber von einem Stangenzaun umgeben war, dessen Höhe etwas mehr als Mannshöhe betrug. Die Zwischenräume dieser Stangen ließen alles deutlich sehen, was sich hinter ihnen befand. Hinter diesem Zaun gab es eine zweite Einfriedung, die also innerhalb desselben lag; sie wurde von dicht verschlungenen und hochgewachsenen Dorn- und Stachelgewächsen gebildet. Man konnte weder durch sie hindurch noch über sie hinwegsehen, und ihre natürlichen Nadeln und Schneiden waren so spitz und so scharf, daß es für einen Menschen unmöglich war, sich ohne besondere Werkzeuge hindurchzuarbeiten. Das Morgenland ist an solchen von der Natur bewehrten Pflanzen bekanntlich überreich. Diese undurchdringliche Umfassung schloß den Platz ein, den die Frau des Scheiks als ‚Stachelzwinger‘ bezeichnet hatte. Es gab in dieser Umhegung nur eine einzige schmale Lücke, die als Ein- und Ausgang diente und von einer hölzernen, über zwei Meter hohen Lattenpforte verschlossen wurde. Der Riegel war an der Außenseite angebracht, so daß es dem Gefangenen unmöglich war, ihn von innen zu öffnen. Aber selbst wenn er dies gekonnt hätte, wäre er nicht entkommen, weil sich zwischen den beiden Zäunen die Hunde befanden, die freien Lauf rund um den Zwinger hatten und den Dschirbani also an jeder Stelle, wo er etwa ausbrechen wollte, mit den Zähnen fassen konnten.
Wir waren dem Ort jetzt so nahe gekommen, daß wir die Hunde sahen. Es waren ihrer drei, so hoch, so groß und riesenstark gebaut, wie ich noch niemals einen Hund gesehen hatte, selbst meinen starken, furchtlosen Dojan nicht, den meine Leser kennen. Ihr dickes, zottiges Fell und der Bau ihres breiten, mächtigen Schädels rechtfertigen den Namen Bärenhund, doch waren sie bedeutend höher als Bären zu sein pflegen. Auch ihre kurze, weit sich spaltende Schnauze und das kleine tückische Auge erinnerten an den Bären; aber ganz unbärenmäßig waren die großen weit herabhängenden und immer triefenden Lefzen. Die Tiere hatten eine mächtig breite Brust und außerordentlich kräftige Schenkel, deren Füße mit scharfen Klauen und sehr
Weitere Kostenlose Bücher