24 - Ardistan und Dschinnistan I
begann zurückzuweichen. Wo Bäume standen, waren es entweder Überreste des Waldes, oder man hatte sie aus Nützlichkeitsrücksichten neu gepflanzt. Wir erreichten ein Netz von Kanälen, an deren Ufern man zuweilen eine Hütte liegen sah. Manches Häuschen war auf Pfählen im Wasser errichtet und bestand ausschließlich aus zusammengefügten Stämmen, Hölzern und Knüppeln, deren Zwischenräume zugestopft und verschmiert worden waren. Die Türen und Fenster waren, zumal für Ussulgestalten, fast lächerlich niedrig, schmal, eng und klein. Diese Pfahlbauten lagen anfangs weit auseinander; erst allmählich näherten sie sich, und die eigentliche Stadt begann. Nun hielten auch wir an, um die Zurückgebliebenen mit den Gefangenen zu erwarten, denn es war ein ‚großer Einzug‘ geplant.
Noch ehe diese zu uns gestoßen waren, erschienen auch vor uns Leute, denn das Gerücht von unserer Ankunft hatte sich rasch verbreitet. Diese Leute wurden zahlreicher, aber keineswegs in der lauten, energischen und frohen Weise, in welcher der Deutsche einen derartigen Auflauf zu veranstalten pflegt, sondern still, langsam und schwerfällig, als ob es in der Seele gar nichts gebe, was die Arme und Beine zwingen könne, sich auch einmal etwas lebhafter zu bewegen als gewöhnlich. Diese Menschen glichen ganz und gar dem geräuschlosen, stauenden Wasser ihres Landes. In dieser innerlichen und äußerlichen Schwere lag es auch, daß man im Krieg lieber hier sitzen blieb und sich von den heranziehenden Tschoban belagern und aushungern ließ, als daß man ihnen entschieden und schnell zuvorkam, um sie schon gleich an der Grenze zurückzuschlagen. Wenn ich hoffte, sie zu diesem letzteren Verhalten begeistern zu können, so unterlag es keinem Zweifel, daß dies nur unter Anwendung ganz besonderer Mittel zu erreichen sei.
Endlich holten die Zurückgebliebenen uns ein. Halef nickte mir schon von weitem zu. Er lächelte beinahe übermütig und zeigte überhaupt ein sehr befriedigtes Gesicht. Als sich der Zug nun wieder in Bewegung setzte, ritten wir beide nebeneinander, und da sagte er:
„Sihdi, es steht alles gut, sehr gut! Ich habe es vortrefflich eingeleitet!“
„Was?“ fragte ich.
„Den Kriegszug nach dem Engpaß Chatar. Ich habe erzählt, was damals in dem Tal der Stufen geschah. Ich habe berichtet, was du damals ganz allein ausgerichtet und vollendet hast. Ich habe geschildert, wie die feindlichen Stämme der Dschowari, der Abu Hammed und der Obeïde damals von dir an ihren langen Nasen in die Gefangenschaft geführt worden sind. Ich habe ihnen versichert, daß es uns ganz gewiß nicht schwerfallen wird, so ähnliches auch hier zu tun. Sie wissen schon alles. Sie kennen sogar schon die Länge, Breite, Höhe und Schwere des Löwen, den du damals in der Nacht erschossen hast, ganz allein, während Hunderte in den Zelten steckten und sich fürchteten. Sie staunen über dich, alle, alle! Über deine Klugheit und Bedachtsamkeit, über deinen Mut und deine Stärke! Sie werden dir gern gehorsam sein und alles tun, was du von ihnen verlangst.“
Das klang wohl sehr befriedigend, nur kannte ich leider meinen kleinen Hadschi Halef Omar allzugut, als daß ich seine Rede wörtlich genommen hätte. Wenn er sagte ‚deinen‘ Mut und ‚deine‘ Klugheit, so war dieses ‚deine‘ sicherlich in ‚meine‘ umzuwandeln. So stille und sinnende Leute, wie die Ussul waren, pflegen ein scharfes Auge und Ohr für Übertreibungen zu haben. Ich hütete mich also, mich an der Begeisterung Halefs zu erwärmen, und tat, als ob die Umgebung, durch die wir kamen, mich vollauf beschäftigte, so daß ich für seine Worte keine Aufmerksamkeit mehr übrig hatte.
Die Stadt lag auf einer ebenen Fläche, die nicht die geringste Erhebung zeigte und durch unzählige Kanäle und kleinere Gräben in Vierecke eingeteilt wurde. Zuweilen bildete sich auch, wenn mehrere Gräben zusammenstießen, entweder ein Drei- oder Mehreck. An den Außenseiten der Stadt hatte jede derartige Landfigur nur ein einziges Gebäude zu tragen; im Innern der Stadt aber rückten die Wohnungen einander näher. Da standen oftmals zwei, drei oder mehrere zusammen. Stets aber bestanden die Häuser und Hütten aus dem schon beschriebenen Material und glichen einander vollkommen in der Bauart. Mauern waren unmöglich; auch trennende Zäune gab es nicht, weil ja Gräben vorhanden waren. Wer nicht ganz und gar offen vor den Augen des Nachbars wohnen wollte, der schützte sich durch Büsche und
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