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24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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nicht für Bestien zu halten. Und betrachte die letzteren genau! Besonders ihre lang herabhängenden Lippen, sie sind feucht und nässend wie immer. Aber siehst du eine Spur von Geifer?“
    „Nein!“
    „Oder gar von Schaum?“
    „Noch weniger!“
    „So kannst du dich darauf verlassen, daß diese Tiere nicht halb so schlimm sind, wie sie erscheinen. Auch ich habe sie überschätzt, aber nur bis jetzt. Nun ich sie aus solcher Nähe sehe, möchte ich behaupten, daß sie nur infolge ihrer Erziehung, nicht aber von Natur aus so wüten. Sie täuschen ebenso, wie ihr Herr der Sahahr, täuscht. Man hält sie für Bestien, und doch ist die Gutmütigkeit wohl ihre hauptsächlichste natürliche Eigenschaft. Er aber gibt sich als gutmütig, und –“
    „Schau, Sihdi! Da drüben kommt jemand!“ wurde ich von Halef unterbrochen.
    Er deutete mit der Hand über den Stangenzaun in den Stachelzwinger hinein. Ich habe schon erwähnt, daß sich in dem Dorn- und Stachelwerk nur eine einzige Lücke befand, und dort war die Tür. Da wir hoch zu Pferd saßen und die beiden Türen mit uns in einer Linie lagen, so konnten wir nicht nur durch ihre Zwischenräume hindurch, sondern auch über sie hinwegsehen. Das Innere des Zwingers lag also zu einem beträchtlichen Teile vor unsern Augen. Wir überschauten einen freien, grasbewachsenen Platz, auf dem eine Gestalt langsam geschritten kam, um sich der Tür zu nähern. Es schien, als ob dieser Mensch sich um den Lärm in seiner Nähe bisher gar nicht bekümmert habe und erst jetzt im Begriff stehe, ihn zu beachten. Er war von außerordentlich hoher, imponierender Gestalt. Sein langsamer Gang und seine Haltung waren von einem ganz eigenartigen, charakteristischen Stolz. Seine Kleidung bestand aus einem weiten, bequemen Haïk, der um die Hüften durch einen schmalen Ledergürtel zusammengefaßt wurde. Sein Kopf war unbedeckt. Ein starkes, fast übervolles Haar hing ihm weit über den Rücken herab. Die Züge seines edel geschnittenen Gesichtes waren von einer ganz eigenartigen, fast augenfälligen Schönheit. Einen Bart trug er nicht. Das war gewiß eine außerordentliche Seltenheit hier im Land und in der Hauptstadt der Ussul, die stolz auf ihren starken Haarwuchs waren und jeden bartlosen Mann als einen Knaben oder gar als verächtlich bezeichneten. Ich sollte sogar sehr bald erfahren, daß es bei ihnen ein Gesetz gab, nach welchem Handlungen, die nach ihren Begriffen ehrlos waren, durch das Scheren des Bartes und das Verbot, ihn wieder wachsen zu lassen, bestraft wurden. Sollte dieses Gesetz vielleicht auch auf den Dschirbani in Anwendung gebracht worden sein? Wie er, den Blick zur Erde gesenkt, so allmählich sich der Pforte näherte, hatte es den Anschein, als ob seine Gestalt mit jedem Schritt immer höher und breiter, immer bedeutender und eindrucksvoller werde. Ob dies nur in seiner Persönlichkeit lag oder zum Teil auch mit in der örtlichen Perspektive, das fragte ich mich nicht. Ich nahm die Wirkung in mir auf, ohne nach ihren Ursachen und Gründen zu forschen. Als er die Pforte erreichte, ließ er seinen Blick über uns gleiten. Es war keine Spur von Überraschung an ihm zu bemerken. Das große, dunkle Auge ruhte forschend auf uns, und als ich meine Hand zum Gruß gegen Brust und Stirn erhob, antwortete er mir in der gleichen Weise. Da fragte ich mit lauter Stimme zu ihm hinüber:
    „Bist du der Sohn des Dschinnistani?“
    Ich unterließ es natürlich, ihn Dschirbani zu nennen, weil dies ‚der Räudige‘ bedeutet. Ich mußte wegen der Hunde so laut rufen, daß man es rundum hörte. Er antwortete ebenso laut:
    „Ich bin es.“
    Mein kleiner Halef war von der außerordentlichen Erscheinung dieses Mannes, der trotz seiner Jugend einen solchen Eindruck machte, ebenso ergriffen wie ich. Halef war gewohnt, sich derartigen Gefühlen augenblicklich hinzugeben, und so eilte er auch hier sehr schnell zum Wort, ohne daran zu denken, daß dies jetzt mir allein zustehe.
    „Du bist der Enkel des Sahahr?“ erkundigte er sich.
    Der Dschirbani nickte.
    „Wünschst du, frei zu sein?“
    Da hob der Gefragte die Hände bis zur Höhe seines Gesichts, schlug sie beteuernd zusammen und rief:
    „Von ganzem Herzen!“
    „So holen wir dich heraus! Sofort! Wir schießen die Hunde nieder!“
    Der Zauberer und alle bei ihm hatten jedes dieser Worte gehört. Er wollte sein Verbot wiederholten und richtete sich, soweit es sein Zustand erlaubte, in die Höhe, um uns zuzurufen, brachte es aber nur zu

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