24 Stunden
gerade den platten Reifen in den Kofferraum. Er grinste und winkte ihr zu. Sie wollte auch winken, aber sie konnte ihren Arm nicht bewegen.
»Was ist los?«, fragte Huey.
Abby fiel bäuchlings in den Dreck.
Kurz darauf sah sie Hueys Gesicht vor sich und seine großen Augen hinter seiner dicken, schwarzen Plastikbrille. Er schien sich mehr Sorgen zu machen als sie.
»Mein Zucker ist zu hoch«, sagte sie und schaute sich um. Huey musste sie zu dem weißen Auto getragen haben, denn sie saß auf dem Beifahrersitz. »Ich brauche meine Spritze.«
»Ist die Medizin in der Kühltasche?«
Abby nickte.
Huey zog die kleine Kühltasche vom Rücksitz und gab sie Abby. »Weißt du, wie das geht?«
»Ich hab schon oft zugesehen, wenn meine Mama und mein Dad das gemacht haben. Aber ich hab das noch nie selbst gemacht. Man muss etwas von der Medizin in die Spritze ziehen, die Spritze in meinen Bauch stechen und auf den Kolben drücken.«
Huey verzog das Gesicht, als wäre das für ihn unvorstellbar. »Tut das weh?«
»Ein bisschen. Aber ohne die Spritze kann ich sterben.«
Huey schloss die Augen und schüttelte heftig den Kopf. »Es ist besser, wenn wir warten, bis deine Mama da ist.«
»Wie lange dauert das noch?«
»Weiß nicht.«
Abby rieb sich über ihr juckendes Gesicht. »Kannst du mir nicht die Spritze geben?«
Huey zog die Lippen zwischen die Zähne und riss die Augen auf. »Das kann ich nicht. Geht nicht. Ich hasse Spritzen.«
»Aber ich muss sie haben.«
»Ich kann das nicht, Belle.«
Abby biss sich auf die Lippe und versuchte, ihre Angst zu unterdrücken. »Kannst du die Kühltasche für mich aufmachen?«
Als Huey die Kühltasche geöffnet hatte, nahm Abby zwei Flaschen Insulin heraus. Auf einer stand >N< und auf einer>R »Das eine wirkt schnell«, sagte sie zu Huey. »Und das andere langsam. Man muss es mischen.«
Sie nahm eine Spritze aus der Kühltasche und zog schnell die Kappe ab, damit sie nicht lange darüber nachdenken musste. Huey verzog wieder das Gesicht, als er die Nadel sah. Abby zog aus jeder Flasche etwas von der klaren Flüssigkeit in die Spritze und achtete darauf, dass die Medizin die Markierung »4« nicht überstieg.
Jetzt musste sie ihre Hose herunterziehen, aber das wollte sie nicht. Sie hielt mindestens zweimal täglich still, wenn ihre Mutter ihr in den Bauch piekste, aber bei dem Gedanken, es selbst machen zu müssen, wurde ihr ganz übel.
»Was ist los?«, fragte Huey. »Was kommt jetzt?«
»Tust du mir einen Gefallen?«
»Was denn?«
Abby zog ihre Hose über den rechten Oberschenkel und kniff hinein. »Du musst die Haut auf meinem Bein so zusammenkneifen.«
Huey zögerte zuerst, kniff aber dann die Haut zusammen. »Hast du Angst?«, fragte er.
Ja, sie hatte Angst. Doch ihr Dad hatte gesagt, dass es zwar nicht schlimm sei, Angst zu haben, es aber besser sei, wenn es die anderen nicht merkten. »Ich bin fast sechs Jahre alt«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich kann das schon.«
Huey bekam feuchte Augen. »Du bist sehr tapfer.«
Abby wunderte sich, wie so ein Riese, der ein Auto hochheben konnte, sie für tapfer halten konnte, aber er tat es. Und das gab ihr den Mut, die Nadel in ihre Haut zu stechen. Sie drückte auf den Kolben, und als sie den Schmerz spürte, war die Nadel schon wieder draußen.
»Du hast es getan!«, rief Huey.
»Ja!« Abby lachte, lehnte sich auf ihrem Sitz zurück und umarmte Huey. »Komm, wir fahren zu meiner Mama!«
Huey wich zurück und schaute sie mit trauriger Miene an.
»Was hast du?«, fragte Abby.
»Ich seh dich nie wieder.« Seine Unterlippe bebte. »Deine Mama nimmt dich mit, und ich seh dich nie wieder.«
»Natürlich siehst du mich wieder«, sagte Abby und strich ihm über den Arm.
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist immer so. Meine Freunde werden mir immer wieder weggenommen. Bei meiner Schwester war das auch so.«
Jetzt wurde Abby auch ganz traurig. Sie drückte ihm Belle in die Hand, doch er wollte sie nicht haben.
»Wir müssen jetzt fahren«, sagte sie. »Meine Mama wartet auf mich.«
»Gleich«, sagte Huey. »Gleich.«
»Gehen Sie dran!«, schrie Will, der Cheryl das Nokia in die Hand drückte. »Gehen Sie ans Telefon!«
Cheryl bekreuzigte sich, nahm das Handy und schaltete es auf Empfang. »Hallo?... Ja, ich hab's... Er ist hier... Nein, so viel ich weiß, nicht. Nein, keine Bullen... Wir sind auf der 1-10. Wir fahren auf der 1-55 nach Norden, richtig?... Oh. Okay.« Sie schaute Will an.
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