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24 Stunden

24 Stunden

Titel: 24 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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konnte, und dadurch kam ihm nun die Schwerkraft zu Hilfe.
    Als die Räder auf die betonierte Straße trafen, gewann der Kleinlaster an Fahrt, und Huey versuchte unbeholfen, in den Wagen zu steigen. Er stellte einen Fuß aufs Trittbrett, doch als er sich durch die geöffnete Tür ins Innere ziehen wollte, rutschte er aus und stolperte. Er kämpfte, um sein Gleichgewicht zurückzugewinnen, während der alte Chevy den Hügel hinunterrollte. Es war nur der Kraft seiner riesigen Hände zu verdanken, dass er den Kontakt zum Pickup nicht verlor, als er auf die Crooked Mile Road zuraste.
    Auf den letzten Metern der Auffahrt verbog Huey seine Handgelenke so stark, dass bei einem normalen Menschen die Sehnen gerissen wären, doch er hievte sich mit äußerster Kraftanstrengung in den Wagen. Kurz bevor der Pickup die Straße erreichte, trat er auf die Bremsen, und der Wagen kam zitternd zum Stehen. Abby wurde gegen das Armaturenbrett geschleudert, wachte aber nicht auf. Huey schob sie zurück auf die Bank und bettete ihren Kopf auf seinen Oberschenkel. Dann hielt er eine Hand vor ihren Mund, um zu überprüfen, ob sie atmete.
    Nachdem er sich beruhigt hatte, zog er die Fahrertür zu, warf den Motor an und bog in die Crooked Mile Road ein, die zum Highway 463 und von dort zur Interstate 55 führte. Er hatte eine lange Nacht vor sich.
    Karen horchte auf, als sie das Geräusch eines startenden Motors vernahm. Um diese Tageszeit war das ungewöhnlich. Die Nachbarhäuser waren zu weit entfernt, um derartige Geräusche hören zu können. Sie schaute durch das Küchenfenster, konnte aber wie erwartet nichts erkennen. Vom Haus aus war nur eine Kurve der Crooked Mile Road einzusehen, und der hohe Hügel verdeckte die Stelle, an der die Zufahrt in die Straße mündete. Vielleicht war es ein UPS-Fahrer, der spät dran war und in der Zufahrt gewendet hatte.
    Sie schaute wieder zur Korridortür und rief: »Abby? Soll ich dir helfen, Schatz?«
    Wieder keine Antwort.
    Allmählich kroch Angst in Karen hoch. Sie musste unbedingt Abbys Zucker kontrollieren, und wenn sie es auch nicht gerne zugab, so lauerte die Panik immer unmittelbar unter ihrer vorgeblichen Gelassenheit. Sie legte die Zeitschrift aus der Hand und ging zum Korridor. Im gleichen Augenblick hörte sie Schritte auf dem Holzboden. Karen fiel ein Stein vom Herzen, und sie musste im Stillen über ihre Angst lachen. Doch dann kam ein dunkelhaariger Mann um die 50 mit hoch erhobenen Händen durch die Korridortür auf sie zu.
    Karen presste die rechte Hand auf ihr Herz, und keine Sekunde später wurde ihr speiübel. Ihre Zunge klebte am Gaumen, ihre Kehle war wie zugeschnürt, und ihr brach von Kopf bis Fuß der Schweiß aus. Fast im selben Moment klammerte sie sich an die verzweifelte Hoffnung, dass die Anwesenheit dieses Fremden nur ein Missverständnis, eine verrückte Verwechslung war. Vielleicht war er ein Handwerker, dem Will einen Schlüssel gegeben hatte.
    Sie wusste genau, dass es nicht so war. Diese Gewissheit drängte sich ihr auf wie das Wissen um eine Geschwulst in der Brust, einen Fremdkörper, der dort nicht hingehörte und nur auf eine sehr unangenehme Weise wieder weggehen würde. Karens Schwester war an Krebs gestorben. Schon in jungen Jahren hatte ihr Vater, der im Koreakrieg gekämpft hatte, ihr beigebracht, dass sich das Verhängnis so ankündigte: Wie aus heiterem Himmel kam das Schlimmste, was auf Erden geschehen konnte, ohne Vorwarnung mit einer hinterhältig tickenden Uhr auf einen zu.
    »Ganz ruhig«, sagte der Mann in besänftigendem Ton. »Abby geht es gut. Hör mir bitte zu. Alles ist in bester Ordnung.«
    Als Karen den Namen ihrer kleinen Tochter hörte, stiegen ihr Tränen in die Augen. Die Panik, die immer unter ihrer Haut lauerte, bahnte sich ihren Weg und nagelte sie an der Stelle, an der sie stand, fest. Ihr Kinn fing an zu zittern. Sie versuchte zu schreien, doch es drang kein Laut über ihre Lippen.

3

    Karen war wie gelähmt, als sie die Worte des Fremden vernahm: »Mein Name ist Joe. Joe Hickey. Ich helfe dir, mit dieser Situation klarzukommen. Zunächst einmal solltest du wissen, dass es Abby ausgezeichnet geht.«
    Die vorübergehende Erstarrung, die der Anblick dieses Fremden ausgelöst hatte, fiel schließlich von Karen ab, und sie zuckte zusammen, als hätte sie ein Schlag getroffen.
    »Abby!«, schrie sie. »Komm zu Mama!«
    »Beruhige dich«, sagte der Fremde freundlich. »Schau mich an und nicht die Tür. Ich bin Joe Hickey, okay? Ich sage

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