24 Stunden
mit ausdrucksloser Stimme.
Karen nahm die 38er vom Tisch und richtete sie auf ihren Brustkorb. »Doch, das können wir. Wir fahren jetzt sofort los.«
»Über die Waffe haben wir doch schon gesprochen.«
Karen spannte den Hahn. »Wenn Abby ihr Insulin nicht bekommt, wird sie sowieso sterben. Machen Sie jetzt, was ich Ihnen sage!«
Hickeys Augen flackerten Karen war sich nicht sicher, ob ihn diese Szene amüsierte oder verblüffte. Er hob die Hände, als richtete sie die Waffe auf ihn. »Nimm's leicht, Schätzchen. Wir können da jetzt nicht hin. Abby wird an einen sicheren Ort gebracht. Vielleicht können wir später hinfahren. Klär mich mal über ihren Zustand auf. Wie kritisch ist er?«
»Wie kritisch? Sie kann sterben.«
»Wie lange dauert es, bis sie Schwierigkeiten bekommt?«
Karen rechnete im Stillen nach. Wenn Abby, bevor sie einschlief - falls sie überhaupt schlafen konnte -, nur normale Lebensmittel zu sich nahm, könnte sie die Nacht überstehen. Karen hatte jedoch nicht vor, dieses Risiko einzugehen. Und wenn Hickeys Cousin sie mit Süßigkeiten vollstopfte?
»Jugenddiabetes ist sehr unbeständig«, sagte sie. »Wenn Abby zu viel Zucker isst, kann ihr Zustand sehr schnell sehr kritisch werden. Ihrem Körper wird das Wasser entzogen. Dann bekommt sie Bauchschmerzen und muss sich übergeben. Anschließend fällt sie in ein Koma und stirbt. Das kann sehr schnell passieren.«
Hickey schürzte die Lippen. Offensichtlich rechnete er auch im Stillen nach. Einen Moment später griff er über den kleinen, in die Küchenzeile integrierten Schreibtisch, an dem Karen immer die Überweisungen ausfüllte, nahm das schnurlose Telefon in die Hand und tippte eine Nummer ein.
Karen folgte ihm und drückte auf die Lautsprechertaste. Hickey schaute auf das Telefon und überlegte, wie der Lautsprecher abgestellt werden konnte, doch ehe er es herausbekam, sagte eine tiefe, männliche Stimme: »Joey? Sind schon dreißig Minuten um?«
»Nein. Was ist mit dem Hallo passiert?«
»Oje. Tut mir Leid.« Die Stimme des Mannes hatte einen seltsamen Klang, fast wie die Stimme eines fünfjährigen Kindes. Er ist praktisch selbst noch ein Kind, hatte Hickey gesagt.
»Wie geht es dem Kind?«
»Gut. Es schläft noch.«
Karens Herz klopfte laut. Sie richtete die Waffe auf Hickey. »Lassen Sie mich mit ihr sprechen.«
Hickey schlug mit der Hand in die Luft, um Karen zu verscheuchen.
»Was war das, Joey?«
»Die Küchenfee.«
»Geben Sie mir das Telefon!«, bat Karen.
»Abby kann jetzt nicht mit dir sprechen. Sie ist ruhig gestellt.«
Ruhig gestellt? »Sie Mistkerl! Sie...«
Hickey beugte sich über den Tisch und schlug Karen die Faust in den Magen. Sie fiel keuchend zu Boden, und die Waffe landete klirrend vor ihren Füßen.
»Leg mal deine Hand auf die Brust der Kleinen. Ist ihre Atmung in Ordnung?« »Ziemlich flach. Wie bei einem kleinen Hund.«
»Gut. Pass auf. Gib ihr keine Süßigkeiten. Okay? Vielleicht etwas Gesalzenes.«
»Sie muss viel trinken«, sagte Karen keuchend. »Viel Wasser!«
»Gib ihr Wasser. Viel Wasser.«
»Gesalzenes und Wasser«, wiederholte Huey.
»Vielleicht komme ich heute Abend noch vorbei.«
Karen schöpfte Hoffnung.
»Das wäre gut«, sagte Huey. »Dann wäre ich nicht so nervös.«
»Ja. Fahr langsam, okay?«
»Fünfundfünfzig«, erwiderte Huey gehorsam.
»Du bist ein guter Junge.«
Hickey legte auf und hockte sich vor Karen hin, die noch am Boden kauerte. »So, ich komm dir entgegen. Bevor wir etwas tun, muss meine Partnerin aber erst Kontakt zu deinem Gatten aufgenommen haben. Wir müssen sicherstellen, dass der gute Will mit uns an einem Strang zieht. Der Schock erfolgt nämlich in den ersten Minuten. Das weiß keiner besser als du, nicht wahr? Und wegen dieser Diabetesgeschichte könnte er ausrasten. Ich hoffe nicht, dass er ausrastet, denn dann wird das Insulin der ganzen Welt Abby nicht mehr helfen können.« Hickey stand auf. »Wir werden auf dein kleines Mädchen aufpassen. Es dauert nur ein paar Stunden. Steh jetzt auf.«
Er reichte ihr die Hand, doch Karen übersah sie geflissentlich, kniete sich hin und zog sich am Tischrand hoch. Die Waffe, die ihr in Anbetracht der Lage überhaupt nichts nutzte, blieb auf dem Boden liegen.
Hickey ging an ihr vorbei zur gegenüberliegenden Wand, an der in einem ziemlich großen Rahmen eine fast abstrakte Seidenmalerei hing. Es war das Bild eines Alligators, der in leuchtenden Farben wie von Kinderhand gemalt war. Das Talent war
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