24 Stunden
selbst entsetzliche Angst hatte. »Ich musste es tun, Liebling. Daddy und ich haben eine wichtige Verabredung. Das hatten wir ganz vergessen. Da dürfen nur Erwachsene hin, aber es dauert nicht lange. Nur heute Nacht.«
»Gehst du wieder weg?« Abby war so bestürzt, dass es Karen fast das Herz zerriss. Auch sie hatte diese Angst, verlassen zu werden, schon erlebt, und dass sie ihrer Tochter diesen Schmerz jetzt zufügen musste, war ihr unerträglich.
»Nicht sofort«, sagte sie. »Nicht sofort. Wir müssen deinen Zucker überprüfen, Kleines.« »Neiiiin!«, jammerte Abby. »Ich will wieder nach Hause!«
»Ist Mr. Huey nett zu dir?« Karen schaute ängstlich auf den Riesen, der ein paar Meter abseits stand.
Abby war viel zu aufgeregt, um antworten zu können.
Karen öffnete die Kühltasche und nahm das fingerdicke, mit einer Sprungfeder versehene Gerät heraus, auf das sie bereits eine Nadel gesteckt hatte. Abby wehrte sich ein wenig, doch als Karen ihre Hand festhielt, überließ sie ihr widerstandslos den Mittelfinger. Karen presste die Spitze des Gerätes auf Abbys Fingerkuppe und drückte auf den Kolben. Abby wimmerte, obwohl der Schmerz kaum der Rede wert war. Karen wischte den ersten Tropfen Blut weg und drückte einen zweiten aus dem Finger. Diesen saugte sie mit einem Teststreifen auf, den sie in ein kleines, mit einem Mikrochip versehenes Gerät einführte. Nach 15 Sekunden piepte es.
»Zweihundertvierzig. Du brauchst deine Spritze, Schatz.«
Karen zog drei Einheiten des Kurzzeitinsulins aus einem Fläschchen und fügte mit der gleichen Spritze fünf Einheiten des Langzeitinsulins hinzu. Das war mehr Insulin, als Abby normalerweise gespritzt wurde, doch Karen vermutete, dass Abby in der kommenden Nacht kaum schlafen und sicher etwas zu essen bekommen würde.
»Hat Mr. Huey dir etwas zu essen gegeben, Schatz?«
»Nur ein paar Cracker.«
»Sonst nichts?«
Abby schaute auf den Boden. »Und ein Pfefferminz.«
»Abby!«
»Ich hatte Hunger.«
Karen wollte Abby die Hose herunterziehen, um ihr das Insulin in den Bauch zu spritzen, doch da Huey sie beobachtete, beschloss sie, ihr die Spritze durch die Kleidung hindurch zu geben. Sie kniff in Abbys Bauch und spritzte ihr das Insulin.
Abby wimmerte leise und schlang ihre Arme um Karens Nacken. Karen warf die Spritze auf den Boden und drückte Abby an sich. Sie kniete im Dreck, wiegte ihre Tochter wie einen Säugling in den Armen und sang leise Abbys Lieblingslied.
»Kleine Eensy-Weensy Spinne krabbelt auf den Wasserstrahl, kommt der große Regen, macht die Spinne plumps. Kommt die l iebe Sonne raus, trocknet alles aus, kleine Eensy-Weensy Spinne krabbelt wieder rauf.«
»Ich liebe dich, meine kleine Wilde«, flüsterte sie. »Alles ist gut.«
Hickey ging an ihr vorbei, um mit Huey zu sprechen.
»Sing weiter, Mama«, bat Abby.
Karen sang noch einmal das Lied, bemühte sich aber gleichzeitig zu hören, was die Männer sagten.
»Alles in Ordnung?«, fragte Hickey.
»Ja«, erwiderte eine tiefe Stimme zögernd. »Sie ist süß.« Hickey zündete sich eine Zigarette an. Das Streichholz leuchtete wie ein Signalfeuer in der Dunkelheit.
»Ich dachte, du hättest aufgehört, Joey.«
»Geh mir nicht auf die Nerven.«
Jedes Mal, wenn Hickey an der Zigarette zog, leuchtete die rote Glut auf. Karen wusste, dass Hickey sie beobachtete. Verletzbar wie ein Reh, auf den der Jäger sein Gewehr richtete, stand sie mit Abby im Scheinwerferlicht. Sie drückte ihre Tochter noch fester an sich und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
»Weißt du noch, welche Nummer du wählen musst, wenn du die Polizei rufen willst?«
»Neun?«, überlegte Abby laut. »Neunneuneins?«
»Neuneinseins.«
»Ah, ich weiß. Wenn ich nervös bin, vergesse ich es. Unsere Telefonnummer kenne ich.«
»Gut, Liebes. Pass jetzt genau auf. Mr. Huey hat ein Handy. Wenn er zur Toilette geht, vergisst er es vielleicht. Wenn er es vergisst, rufst du die Nummer neuneinseins an. Renn weg, versteck dich draußen mit dem Handy und sag, dass du in Schwierigkeiten steckst. Dann versteckst du das Handy. Du darfst das Handy nicht ausschalten. Wenn du das machen kannst, wird man dich holen und zu Mama und Papa bringen. Hast du verstanden?«
Abby riss die Augen auf. »Werden die Polizisten Huey wehtun?«
»Nein, Kleines. Aber du darfst das nur machen, wenn er es nicht bemerkt. Okay? Es ist eine Art Spiel.«
Abby schossen Tränen in die Augen. »Ich hab solche Angst, Mama. Ich will nach Hause.«
»Hör zu,
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