24 Stunden
Mann hatte sie gezwungen, ihre kleine Abby im Stich zu lassen, und das war mehr, als sie ertragen konnte. Wie ein körperloser Geist, der durch den Äther schwebte, saß sie im Wagen. Obwohl ihre Augen wieder verbunden waren, bemerkte sie, dass wenig Verkehr herrschte. Nur in großen Abständen fuhren Wagen an ihnen vorbei.
»Hast du jetzt ein Schweigegelübde abgelegt oder was?«, fragte Hickey.
Karen versuchte, die sternenlose Nacht hinter den verbundenen Augen mit ihrem Geist zu erreichen.
»He, ich spreche mit dir.«
Wie durch dichten Nebel drang die Stimme an Karens Ohr.
»Ich weiß, dass du sauer bist. Aber was sollte ich sonst machen? Du wirst schon drüber wegkommen.«
»Das glaube ich kaum.«
»Ach, du kannst ja doch noch sprechen.«
Sie hörte, dass er sich eine Zigarette anzündete, und kurz darauf stieg ihr der Rauch in die Nase.
»Du kannst das Tuch abnehmen.«
»Ich möchte es anbehalten.«
»Ich möchte, dass du es abnimmst.«
Karen nahm das Tuch ab. Das Armaturenbrett leuchtete wie eine Hafenstadt in der Dunkelheit. Als sie den Blick hob, sah sie, dass der digitale Kompass zwischen den Blenden auf »O« für Osten stand. Diese Information könnte ihr von Nutzen sein.
Sie fuhren auf einer zweispurigen Straße, und sie wusste aufgrund der Geschwindigkeit und der Geräusche, dass sie vorher mindestens eine halbe Stunde lang über eine Autobahn gefahren waren, nachdem sie Jackson verlassen hatten. Es gab zwei Möglichkeiten: die Nord-Süd-Achse - Interstate-55 - oder die Ost-West-Achse - Interstate-20. Das bedeutete, dass Abby irgendwo südlich von Jackson und westlich der I-55 gefangen gehalten wurde, wenn Hickey diese Autobahn gefahren war. Wenn er die I-20 genommen hatte, war es schwieriger, Vermutungen anzustellen. Wahrscheinlich würde sie es bald genauer wissen, wenn sie sich jetzt nicht mehr die Augen verbinden musste. Sie beschloss, ihn bei Laune zu halten.
»Danke, dass ich Abby die Spritze geben durfte.«
Hickey kurbelte das Fenster einen Spalt hinunter und blies den Rauch hinaus. »Das hör ich gerne. Dankbarkeit. Heutzutage findet man das nicht mehr sehr häufig. Das ist eine vergessene Tugend. Doch du bist noch von der alten Schule. Das sehe ich. Du weißt, wie man Dankbarkeit für eine gute Tat zeigt.«
Karen wartete einen Augenblick und drehte ihren Kopf dann zur Seite, um Hickey zu mustern. Sein Profil sah aus wie ein von Wind und Wetter abgeschliffener Felsen. Buschige Augenbrauen, eine etwas zu platte Nase und ein Kinn, das wie eine stillschweigende Kampfansage hervortrat. Diesem Gesicht war anzusehen, dass es viel einstecken konnte und sicherlich auch schon musste.
»Wir müssen die ganze Nacht totschlagen«, sagte er und wandte seinen Blick kurz von der Straße ab, um sie anzuschauen. »Warum sollen wir uns das Leben schwer machen. Wir könnten Freunde sein.«
Karen wurde hellhörig. Das hörte sich äußerst bedrohlich an.
»Du bist eine hübsche Frau. Du hast zwar rotes Haar, aber nicht so ein nuttiges Rot. Erdbeerblond, nicht wahr? Und ich sehe doch auch nicht schlecht aus, oder?«
»Hören Sie, ich weiß nicht, was Sie früher gemacht haben, aber... «
»Ich möchte gerne deine Möse sehen, Mädchen.« Hickeys Augen strahlten im Licht des Armaturenbretts. »Ich bin sicher, du hast eine schöne Möse.«
Seine Worte schockierten und ängstigten Karen mehr, als sie für möglich gehalten hätte. Obwohl sie ihre Angst nicht zeigen wollte, wich sie instinktiv ein Stück zurück.
»Ich wette, du hast auch einen hübsch gebräunten Körper, ihr habt doch so einen tollen Pool da draußen.«
Karen starrte auf die Straße. Ihre Wangen glühten.
»Ich hab dir auch was zu bieten. Mit Sicherheit mehr, als du gewohnt bist.«
Hickeys Vertrauen schien mit jeder Bemerkung zu wachsen, doch Karen erstarrte mehr und mehr. »Darauf würde ich nicht bauen«, sagte sie. »Mein Mann hat mit seinen Genen ziemlich Glück gehabt.«
Hickey lachte selbstbewusst. »Ach ja? Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass dein Göttergatte so gut ausgerüstet ist. In meinen Augen der typische Tennisspieler. Der Durchschnittsmann unter der Dusche. Darum halte ich mich nie zurück. Auf diesem wichtigen Gebiet nehme ich, was ich kriegen kann.« Er warf die Kippe aus dem Fenster und drückte auf den Zigarettenanzünder am Armaturenbrett. »Ich hab mal diese Geschichte über L.B. Johnson gehört. Während des Vietnamkrieges hat MacNamara ihm irgend so einen Scheiß erzählt. Ho Chi Minh hat
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