24 Stunden
ich.«
»Als Nutte zu arbeiten ist anständiger als das, was Sie jetzt machen.«
»Waren Sie schon mal eine Nutte?«
»Nein.«
»Dann können Sie das auch nicht beurteilen. Wenn ich in einem Film eine Nutte sehe, würde ich am liebsten den Bildschirm zertrümmern. Als ich Pretty Woman gesehen habe, hätte ich fast gekotzt. Kennen Sie diese Szene in dem Film, in der Richard Geres Freund versucht, Julia Roberts zu überreden, mit ihm zu vögeln? Das ist die einzige unangenehme Szene in dem ganzen Film.«
»Ich erinnere mich daran.«
»Das ist der Alltag einer Nutte. Und es platzen keine Schauspieler in dein Leben, um dich vor seinen Freunden zu retten. Wenn so etwas passiert, hat er die Nummer für seinen Kumpel schon bezahlt.« Sie starrte Will mit durchdringendem Blick an. »Sie müssen sich das so vorstellen: Man sitzt den ganzen Tag und die ganze Nacht irgendwo herum und steht jedem noch so widerlichen, stinkenden, kranken Scheißtypen zur Verfügung. Die kommen schon mit der Berechtigung, dich zu vögeln, durch die Tür. Das bedeutet es, eine Nutte zu sein.«
»Konnten Sie sich Ihre Kunden nicht aussuchen?« »Kunden? Mein Gott! Ich war keine Rechtsanwältin, klar? Da ging's ums Vögeln. Nein, ich konnte sie mir nicht aussuchen. Ich hätte den Stoff nicht bekommen, wenn ich nein gesagt hätte.«
»Den Stoff? Kokain?«
»Nein, Crack. Mein Zuhälter hat immer gesagt: keine Nummer, kein Crack.«
»Und Hickey hat Sie da rausgeholt?«
»Stimmt. Er hat mir geholfen, von dem Zeug loszukommen. Das war das Schwerste, was wir beide je durchgestanden haben. Wenn Sie also glauben, ich würde ihn verraten oder mich bestechen lassen, dann denken Sie noch mal genau nach. Glauben Sie, es macht mir was aus, wenn er mich ab und zu verprügelt?«
»Ja, das glaube ich. Weil Sie wissen, dass das keine Liebe ist. Sie sind nicht Joes Sklavin, nur weil Sie durch ihn von dem Crack losgekommen sind. Sie haben es verdient, ein glückliches Leben zu führen, wie jeder andere auch.«
Sie schüttelte den Kopf, als würde sie einem Vertreter zuhören. »Mein Stiefvater hat immer gesagt: Jeder kriegt das, was er verdient.«
»Hört sich an, als wäre er ein ziemliches Arschloch gewesen.«
Cheryl schnaubte verächtlich. »Tja, da haben Sie ausnahmsweise mal Recht. Waren Sie schon mal bei einer Nutte?«
»Nein.«
»Welcher Typ gibt das auch schon zu, was? Ich glaube Ihnen trotzdem. Sie gehören zu diesen Typen, die man mit der Lupe suchen muss und die dazu auserkoren sind, Ehemann zu sein, stimmt's?«
»Und Vater.«
Sie zuckte zusammen.
»Hatten Sie nie eigene Kinder?«, fragte Will.
»Darüber rede ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Sagen wir mal so: Ich war so oft schwanger, dass ich keine Kinder mehr bekommen kann.«
Was sollte das heißen? Zahlreiche Abtreibungen? Und bei einer ging was schief? »Sind Sie sicher? Ich war Geburtshelfer, bevor ich Anästhesist wurde. Heutzutage gibt es viele neue Therapien...«
»Hören Sie mit dieser Scheiße auf!«, schrie Cheryl.
»Okay.«
Will drehte sich um und ging zum Fenster. Das Mondlicht erhellte die Bucht kaum. Den Horizont konnte man nur erahnen. Tief unten sah Will mitten auf der Plaza die gekräuselte Wasseroberfläche des beleuchteten blauen Swimmingpools und daneben den Whirlpool, der nicht so gut zu erkennen war. Zu seiner Rechten lag der Jachthafen mit seinem stilisierten Leuchtturm und den Millionen-Dollar-Kreuzern. Ein paar Sterne leuchteten hoch oben am Himmel, doch die anderen wurden vom Licht des Kasinos verschluckt. Als Will den Kopf hob, konnte er Cheryl in der Fensterscheibe sehen. Sie saß auf dem Bett, und die Waffe lag auf ihrem Schoß. Ihre ganze Haltung drückte grenzenlose Einsamkeit aus. Er sprach sie an, ohne sich umzudrehen.
»Ich will hier nicht den Moralapostel spielen, und ich will meine Nase auch nicht in Ihre Angelegenheiten stecken. Es würde mich trotzdem interessieren, wie Sie an die Prostitution geraten sind. Sie sehen einfach nicht aus wie eine Nutte. Sie sehen unverbraucht aus, und Sie sind hübsch. Wie alt sind Sie?«
» Sechsundzwanzig.«
»Und Joe?«
»Fünfzig.«
Ein Altersunterschied von vierundzwanzig Jahren.
»Woher stammen Sie?«
Cheryl seufzte. »Soll das jetzt ein Quiz werden?«
»Was sollen wir denn sonst machen?«
»Ich könnte einen Drink vertragen.«
Will ging zum Telefon.
»Was machen Sie da?«, fragte sie und griff sofort nach der Waffe.
»Ich will uns einen Drink bestellen. Was möchten Sie trinken?«
Sie sah ihn
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