24 Stunden
Dann stieß er sie in den Rücken, bis sie das Schlafzimmer erreicht hatten.
Da Karen Angst hatte, den dunklen Raum zu betreten, machte sie sofort das Licht an. Der Anblick des Schlafzimmers erschreckte sie. Alles war an seinem Platz, und doch kam ihr nichts vertraut vor. Alles war fremd. Das antike Schlittenbett. Der gepolsterte Sessel und die Polstertruhe. Die passende Henredon-Frisierkommode und die Kirschholzvitrine mit dem Fernseher. Die Aquarelle von Walter Anderson an den Wänden. All das kam ihr vor wie das Mobiliar eines fremden Hotels. Es waren nicht die Gegenstände, die sie mit viel Liebe ausgesucht hatte.
»Eine echte Luxussuite«, sagte Hickey. »Ein schöner Ort, um einen netten Abend zu verbringen.«
Er ging an ihr vorbei, ließ sich in den großen Sessel fallen und warf die Füße auf die Truhe. Seine Topsiders waren so neu, dass sie noch keine Spuren aufwiesen. Unter den Sohlen klebte nur etwas Dreck von dem Gang zur Hütte.
»Ich könnte einen Drink vertragen«, sagte er. »Bourbon. Kentucky Bourbon, wenn es hier so was gibt.«
Der Bourbon stand in einem Sideboard in Wills Arbeitszimmer. Wild Turkey. Karen legte ihre Jeans aufs Bett und ging zurück in den Korridor. Sie war dankbar, dass sich ihr die Möglichkeit bot, das Unvermeidliche noch einen Moment aufzuschieben. Hatten sich fünf andere Mütter dem unterworfen?
Im Arbeitszimmer stand Wills Computer. Der Monitor schimmerte in der Dunkelheit. Karen schoss der Gedanke durch den Kopf, Will über SkyTel eine Nachricht zu schicken, doch das hatte sie noch nie gemacht. Und was sollte sie auch schreiben? Ich werde gleich vergewaltigt? So eine Nachricht würde Will wahrscheinlich nur zu einer dummen Heldentat ermuntern, die Abby töten könnte.
Als sie sich einen Schluck Wild Turkey eingoss, kam ihr in den Sinn, dass der Bourbon vielleicht das vollbringen könnte, was ihr durch Widerstand nicht gelingen würde. Wenn Hickey genug Whiskey trank, fehlte ihm vielleicht die Potenz, um sie zu vergewaltigen. Doch das würde sicher lange dauern. Karen dachte an die alte Weisheit, dass der Alkohol das Verlangen steigerte, die Fähigkeit zum Sex jedoch verminderte, was ihrer Meinung nach übertrieben war. Sie und Will hatten den besten Sex gehabt, als sie betrunken gewesen waren. Das lag allerdings schon ein paar Jahre zurück. Durch den Gedanken an ihr einst erfülltes Sexleben regten sich ihre Schuldgefühle tief in ihrem Innern, doch sofort regte sich auch wieder ihr Abscheu und verdrängte die Schuldgefühle.
Sie nahm die Whiskeyflasche und ging zurück ins Schlafzimmer. Plötzlich sah sie im Geiste Szenen aus einem Film vor sich, den sie vor langer Zeit gesehen und schon fast vergessen hatte. In diesem Film, dessen Titel ihr entfallen war, spielte Nicole Kidman eine Hauptrolle. Nicole und ihr Ehemann segelten durch blaues Wasser und retteten einen Mann auf einem Floß. Es stellte sich heraus, dass dieser Mann ein Psychopath war. Er segelte mit Nicole an Bord davon und ließ ihren Gatten zurück. Nicole musste das Boot in ihre Gewalt bringen, um zurückzukehren und ihren Gatten zu retten. Der Psychopath hatte jedoch eine Waffe. Es dauerte nicht lange, bis er beschloss, Nicole zu vergewaltigen. Karen erinnerte sich daran, dass Nicole die Vergewaltigung einfach über sich ergehen ließ. Das war Karen damals lange nicht aus dem Kopf gegangen. Nicole hatte gewusst, dass es der falsche Moment war, um Widerstand zu leisten. Sie hatte die Vergewaltigung ertragen, um zu überleben, bis ihre Stunde kommen würde.
Diese kam schließlich, und es stellte sich heraus, dass sich ihr Opfer gelohnt hatte.
Als sich Karen dem Schlafzimmer näherte, musste sie an eine Äußerung ihrer verstorbenen Mutter denken. Einer vornehmen Dame, die wie viele ältere Süd Staatenfrauen über Vergewaltigung sprach. »Dieses Schicksal ist schlimmer als der Tod«, hatten sie gesagt. Doch sie hatten Unrecht. Ihr Stolz hatte viele ihrer falschen Vorstellungen hervorgebracht, und das war eine davon. Karen war alt genug, um das zu wissen. Eine Vergewaltigung konnte unheilbare Wunden hinterlassen, aber sie bedeutete nicht den Tod. Wo Leben ist, gibt es Hoffnung, hatte ihr Vater immer gesagt. Welchen Preis sie auch zahlen musste, sie und Abby würden diese Nacht überleben.
Hickey lächelte, als sie das Schlafzimmer betrat. »Wild Turkey!«, schrie er. »Verdammt! Her damit.«
Karen brachte ihm die Flasche und wich anschließend drei Schritte zurück.
»Hast du Angst, ich beiße?«
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