24 Stunden
verstummte, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Konnte sie ihrer fünfjährigen Tochter die Wahrheit zumuten, ohne dass die vollends die Nerven verlor? »Schatz, Mama weiß nicht, wie sie dahin kommt, wo du bist. Bist du noch immer da, wo ich dir die Spritze gegeben habe?«
»Ja. Ich bin nach draußen gelaufen und hab mich im Wald versteckt. Mr. Huey hat geschrien, dass es dort Schlangen und Bären gibt. Dann habe ich das Telefon drinnen gehört.«
»Hör zu, Schatz. Erinnerst du dich, wie man neuneinseins anruft? Wenn du das tust, kommt die Polizei und...« »Das hab ich schon gemacht. Die Frau hat mir nicht zugehört. Mama, hilf mir!«
»Was zum Teufel machst du da? Gib mir das Telefon!« Hickey kam aus dem Bad. Er bemühte sich, schnell zu gehen, ohne sein verletztes Bein zu sehr zu belasten.
»Mama?«, schrie Abby.
»Gib mir das Telefon!«, brüllte Hickey.
Karen nahm die 38er vom Bett, richtete die Waffe auf ihn und drückte ab.
Hickey fiel wie ein Soldat unter Artilleriebeschuss zu Boden und fasste sich mit beiden Händen an den Kopf.
»SAG MIR, WO MEIN KIND IST, DU SCHEISSKERL!«
»Mama? Mama!«
Hickey reagierte nicht. Karen feuerte auf den Boden und verfehlte ihn knapp. »ANTWORTEN SIE MIR, VERDAMMT!«
»Hör auf zu schießen!«, schrie er. »Wenn du mich tötest, ist deine Tochter auch tot!«
»UND SIE AUCH! KAPIERT?« Karen bemühte sich, ruhig mit ihrer Tochter zu sprechen. »Bleib am Apparat, Schatz. Mama geht es gut, sie ist nur sehr beschäftigt. Bist du in der Hütte?«
»Ich bin draußen in einem kleinen Schuppen. Ich sitze auf einem Traktor.«
Huey würde sicher auf der Suche nach Abby alle Gebäude absuchen, egal wie einfältig er auch war. Dort auf dem Traktor saß sie wie auf einem Präsentierteller.
»Ich möchte, dass du wieder in den Wald gehst, Abby. Pass auf, dass Mr. Huey nicht in der Nähe ist, und dann schleichst du aus dem Schuppen, versteckst dich im Gebüsch und bleibst da.«
»Aber es ist Nacht.« »Ich weiß, aber heute Nacht ist die Dunkelheit dein Freund. Erinnerst du dich an Pajama Sam? Wenn es draußen dunkel ist, braucht man sich nicht zu verstecken.«
»Das ist doch nur im Computer so. Das ist nicht wirklich.«
»Ich weiß, Kleines, aber im Moment bist du im Wald in Sicherheit. Verstehst du?«
»Ich glaub ja.«
»Glaubst du, dein Zucker ist in Ordnung?«
»Ich glaub ja.«
»Hab keine Angst, Liebes. Mama kommt und holt dich.«
»Versprichst du es?«
»Ich verspreche es. Jetzt schau nach draußen, und dann rennst du in den Wald. Nimm das Handy mit und bleib am Apparat. Du darfst das Handy nicht ausschalten. Nicht ausschalten.«
»Okay.«
Karen bedeckte den Hörer mit einer Hand und richtete die Waffe auf Hickey. »Steh auf, du Schwein.«
Er hob den Kopf und funkelte sie wütend an. Vielleicht war er auch überrascht.
»ICH HABE GESAGT, SIE SOLLEN AUFSTEHEN!«
Hickey stützte sich auf dem Boden ab, lehnte sich gegen die Türfassung der Badezimmertür und richtete sich langsam auf.
»Was zum Teufel willst du denn machen?«, fragte er.
Sie schaute ihn mit einem kühlen Lächeln an. »Die ganze Sache läuft jetzt etwas anders ab.«
9
Dr. James McDill und seine Frau saßen Special Agent Bill Chalmers, einem Mann Anfang 40 mit einem farblosen Gesicht und rotblondem Haar, gegenüber. Agent Chalmers' Krawatte war noch immer erstaunlich ordentlich gebunden, obwohl es schon halb zwölf war. McDill hatte die FBI-Zentrale in Jackson kurz nach Margarets Nervenzusammenbruch angerufen, und dieser Anruf hatte zu diesem Treffen geführt.
McDill wollte ursprünglich alleine fahren, aber Margaret hatte darauf bestanden, ihn zu begleiten. Chalmers hatte in der Eingangshalle auf sie gewartet und sie dann an dem nicht besetzten Schalter des Sicherheitspostens vorbei zu dem Stockwerk geführt, auf dem das FBI untergebracht war. Fast das ganze Bürogebäude war wie ausgestorben. In den Großraumbüros der Regierung schimmerten nur die Monitore. Chalmers führte sie jedoch zum Büro des verantwortlichen FBIAgenten. Auf dem Schreibtisch stand dessen Namensschild: FRANK ZWICK.
Die FBI-Zentrale in Jackson hatte eine berühmtberüchtigte Geschichte. Für welches Attribut man sich letztendlich entschied, hing davon ab, aus welchem Teil des Landes man stammte. J. Edgar Hoover hatte das Gebäude während der schrecklichen Bürgerrechtsunruhen im Sommer 1967 erbaut.
»Einige der Dinge, die Sie mir am Telefon gesagt haben, sind mir noch nicht ganz klar«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher