24 Stunden
verblassten und dem undeutlichen Bild eines schreienden Mannes Platz machten. Karen schaute hinunter.
Sie sah nichts als Blut.
Abby konnte das Telefon nicht finden. Es lag weder auf dem Tisch noch auf der zerschlissenen alten Couch. Aber es klingelte noch immer.
Sie schaute auf den Boden. Dort neben der Schlafzimmertür war eine große Pfütze aus verschütteter Milch und dem Knusper-Müsli. Das Telefon guckte unter der umgedrehten Salatschüssel hervor, in der Huey die Zerealien zubereitet hatte. Abby lief zu der Pfütze und griff nach dem nassen Handy. Doch sie wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Die Telefonnummer und das kleine Fenster leuchteten nicht. Sie drückte auf den EMPFANG und presste das Handy an ihr Ohr.
Stille in der Leitung. »Nein«, jammerte sie. Sie war entsetzt, dass ihre Mutter wieder aufgelegt hatte.
Das Telefon klingelte erneut.
»Hallo? Hallo! Mama?«
Wieder hörte sie das Klingeln. Doch es kam nicht aus dem Handy. Es kam aus dem Schlafzimmer. Sie rannte dorthin und schaute sich um. Neben dem Bett stand ein altes Telefon auf dem Boden. Es klingelte wieder.
Abby griff nach dem Hörer. »Hallo?... Hallo?«
Jetzt war das Freizeichen zu hören.
»Hallo?«
Das Telefon klingelte nicht mehr. Sie schaute ungläubig auf den Apparat. Wie konnte ihre Mutter denn den Hörer auflegen, wenn sie ihn gerade abgenommen hatte? Vor Angst zitternd starrte sie auf die Wählscheibe und versuchte, sich an die Zahlen zu erinnern. »Neunneuneins?«, sagte sie leise. »Neun... neuneinseins. Neuneins... «
»Abby?« Hueys Stimme drang ins Schlafzimmer. »Du darfst nicht vor Huey weglaufen. Du bringst mich in Schwierigkeiten. In große Schwierigkeiten.«
Abby erstarrte.
Huey musste ganz in der Nähe sein, doch sie hörte keine Schritte. Sie hatte viel zu große Angst, um durch die Tür zu spähen. Hastig nahm sie die Puppe und das Handy vom Bett und rannte zur Hintertür.
Als sie draußen war, lief sie an einem kleinen Schuppen vorbei und hockte sich neben einen Baum. Das Mondlicht war hell genug, um die Tasten erkennen zu können. »Neuneinseins«, murmelte sie, um die Nummer nicht noch im letzten Moment zu vergessen. Sie schaltete das Handy ein, tippte gewissenhaft die 911 ein, drückte auf SENDEN und hielt das Telefon an ihr Ohr.
»Willkommen bei Cell Star«, sagte eine Computerstimme. »Unsere Hotline ist zurzeit leider nicht besetzt. Bitte...«
»Ist da die Polizei?«, rief Abby. »Ich brauche einen Polizisten.«
Aus ihren Augen rannen Tränen, als sie erkannte, dass die Stimme nicht mit ihr sprach. Sie drückte auf ENDE und wählte die einzige Nummer, die sie kannte - die Telefonnummer von zu Hause.
»Sechsnulleins«, flüsterte sie. »Achtfünfsechs, viersiebeneinszwei.«
Dann drückte sie wieder auf SENDEN.
Diesmal antwortete eine Männerstimme, doch auch das war eine Computerstimme. »Es tut uns Leid«, sagte der Mann. »Sie müssen zuerst eine Eins oder eine Null wählen, bevor sie diesen Anruf tätigen können. Danke.«
»Zuerst eine Eins?«, wiederholte Abby. Sie hatte panische Angst. »Zuerst eine Eins. Zuerst eine Eins...«
Karen und Hickey knieten einen Meter voneinander entfernt auf dem Bett. Karen fuchtelte zum Schutz mit dem Skalpell durch die Luft. Hickey drückte ein Kissen auf seine Leiste. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, und seine Augen funkelten wütend.
»Sie müssen in ein Krankenhaus«, sagte sie. »Sonst verbluten Sie.«
Er hob das Kissen hoch, schaute auf die Wunde und stieß ein irres Lachen aus. »Daneben! Daneben! Sieh dir das an!«
Als er das Kissen höher hob, erlosch sein Lächeln. Sein rechter Oberschenkel war von der Leiste bis zum Knie aufgeschlitzt. Das Blut schoss in einem beängstigenden Tempo aus der Wunde.
»O mein Gott!«, flüsterte er. »O mein Gott!«
»Das ist Ihre Schuld!« sagte Karen. »Sie haben mir das Telefon an den Kopf geworfen.«
»Dein Kind ist so gut wie tot, du Schlampe. Tot.«
Karens Herz erstarrte zu Stein. Sie hatte gespielt und verloren. Während Hickey versuchte, die Blutung mit dem Kissen zu stoppen, sprang Karen vom Bett und suchte unter dem Bett nach der Waffe. Sie musste dafür sorgen, dass Hickey nicht verblutete, doch sie wollte ihm während seines Wutanfalls nicht schutzlos ausgeliefert sein.
»Gehen Sie ins Bad!«, schrie sie, während sie sich mit der Waffe in der Hand aufrichtete. »Binden Sie ein Handtuch um die Wunde. Sie müssen die Blutung stoppen.«
»Sieh, was du gemacht hast!« schrie er mit
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