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24 Stunden

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Titel: 24 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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in einem winzigen, fernen Kreis zu schweben, und er konnte sich nur auf das konzentrieren, was die Leute hinter ihm leise sprachen, und nicht darauf, ob er Gurken oder Zwiebeln wollte. Er wusste, dass sie gemeine Dinge sagten, weil sie nicht in ihn hineinsehen konnten. Sie sahen nur, wie groß er war. Und wenn er versuchte, das zu erklären, bekamen die Leute Angst. Und je mehr Angst sie bekamen, desto mehr Unfarbe sickerte von den Rändern.
    In der Schule war es am schlimmsten. Er hatte mit aller Macht versucht, die Dinge zu vergessen, die die Kinder in der Schule in Mississippi zu ihm gesagt hatten. Doch es gelang ihm nicht. Sie lebten in seinem Kopf wie Termiten in den Grundmauern eines Hauses. Sogar als er so groß war, dass Jugendliche sich nicht mehr trauten, ganz offen über ihn zu lachen, hänselten sie ihn weiter. Sie hänselten ihn und rannten davon, bevor er sich rächen konnte. Die Mädchen hänselten ihn auch. Dummkopf, Dummkopf, Dummkopf. In seinen Träumen rannten sie noch immer vor ihm davon, und er bekam sie nie zu fassen.
    Im wahren Leben schnappte er jedoch einmal einen. Einen Jugendlichen. Das war einer der Gründe, warum er nach Mississippi gezogen war. Seine Mutter hatte seiner Tante das nie erzählt. Sie hatte Angst, dass ihre Schwester ihn dann nicht aufgenommen hätte. Aber Huey hatte es Joey erzählt. Und Joey hatte es verstanden.
    Huey senkte den Kopf und atmete langsam ein. Manchmal konnte er die Menschen riechen wie Tiere. Einige rochen schlecht, und andere hatten keinen besonderen Geruch an sich. Abby roch wie ein Handtuch, das gerade frisch aus dem Trockner kam. Sauberer als irgendetwas, das er je gerochen hatte. Und sie glitzerte. Er verstand nicht, warum er sie in der Dunkelheit nicht fand, denn sie war silbern und golden, und in ihr hätte sich eigentlich das Mondlicht spiegeln müssen.
    Vielleicht versteckte die Unfarbe sie. Sie war in seine Augen gesickert, als er bemerkt hatte, dass sie weggelaufen war. Er hatte sich bemüht, ihr keine Angst zu machen, aber er hatte die Angst in ihren Augen gesehen. Vielleicht konnte sie nichts dafür. Sie war so zart. Joey hatte gesagt, sie wäre sechs Jahre alt, aber ihr Kopf war kleiner als Hueys Hand.
    »Abby?«, rief er halbherzig.
    Nichts.
    Er ging zurück zur Hütte, schnupperte und lauschte, ohne etwas zu entdecken. Er ging um die Hütte herum und schaute in den Schuppen. Der Geruch des sauberen Handtuchs schwebte über dem Traktorsitz. Er beugte sich hinunter und schnupperte am Sitz.
    Dort hatte Abby gesessen.
    Er schlich aus dem Schuppen und schaute angestrengt in das dunkle Mosaik des Laubwerks. Einige Grüntöne sahen nachts grau aus. Die Baumstämme schimmerten silberschwarz. Das Mondlicht tropfte von den schwarzen Blättern und den herabhängenden Ästen. Er entspannte seine Augen. Diesen Trick hatte er gelernt, als er mit Joey zur Jagd gegangen war. Wenn man seine Augen entspannt, sieht man manchmal Dinge, die man nie sehen würde, wenn man versuchte, sie um jeden Preis zu erblicken. Als er in die Dunkelheit blickte, schimmerte etwas Gelbliches in der Dunkelheit, das viel unschärfer als ein Leuchtkäfer war.
    Sein Herz schlug schneller. Er konzentrierte sich auf den Fleck, aber das gelbe Licht war verschwunden. Dann entspannte er noch einmal seine Augen.
    Das Licht schimmerte und verschwand.
    Er war ihr ganz nahe. Das Licht war wichtig, doch etwas anderes brachte den langsamen Blutstrom in seinen Adern zur Wallung. Der grüne Geruch hatte sich verändert.
    Zwanzig Meter vom Schuppen entfernt hockte Abby in der stickigen Dunkelheit und umklammerte mit beiden Händen das Handy. Die dicken Zweige der Eichen über ihrem Kopf verdeckten das Mondlicht. Sie konnte im Schutz der Büsche nichts sehen. Auf dem Traktor hatte es ihr besser gefallen. Das war ein trockener, sicherer Platz gewesen, und da hatten keine Dornen sie zerkratzt.
    Abby wusste nicht, wo Mr. Huey war. Es gab hier zu viele Geräusche, um etwas bemerken zu können. Nur das beruhigende Leuchten des Displays auf dem Handy hielt sie davon ab, zur erleuchteten Hütte zu laufen. Es war so wie zu Hause, wenn sie draußen in der Dämmerung spielte und aufs Küchenfenster schaute.
    Als sie ein leises Kreischen im Telefon hörte, drückte sie es an ihr Ohr.
    »Abby?«, sagte ihre Mutter.
    »Was ist?«, flüsterte sie.
    »Alles in Ordnung?«
    »Ich glaube ja.«
    »Wo ist Mr. Huey?«
    »Weiß nicht.«
    »Hast du ihn nicht gehört?«
    »Er ruft nicht mehr nach mir. Vielleicht ist er

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