24 weihnachtliche Geschichten - ein Adventskalenderbuch
unseren kleinen Bruder Julius aus dem Kindergarten abgeholt. Papa hatte einen Zuhause-Arbeitstag, saß vor seinem Computer und erledigte wichtige geschäftliche Dinge. Mama würde erst in einer Stunde kommen, und darauf freuten wir uns jetzt schon. Wir waren nämlich mit ihr zum Plätzchenbacken verabredet. Ohne Papa. Der wollte nicht. Wegen der wichtigen Geschäfte und weil er nicht kochen und backen kann. „Ich habe zwei linke Hände“, sagt er. Stimmt aber nicht. Seine Hände hängen ganz normal an seinen Armen dran. Er sagt das nur, damit er nicht im Haushalt mithelfen muss.
Aber man darf als Kind nicht zu streng mit den Erwachsenen sein. Man muss ihnen auch mal was durchgehen lassen. Tolerant sein, sagt Mama dazu und meint damit, dass nicht jeder so sein muss, wie man selbst ist, und man ihn trotzdem mögen kann.
Wir haben Papa sehr lieb. Genauso wie Mama. Das ganze Jahr über. Doch im Dezember haben wir Mama noch lieber als lieb. Dann haben wir sie überlieb.
Mama ist – genau wie wir – ganz verrückt nach Weihnachten. Gleich am 1. Dezember legt sie los mit einem selbst gebastelten Adventskalender. Jeden Tag gibt es einen bunten Briefumschlag. Mal ist ein Rätsel drin, das wir lösen müssen, mal eine Geschichte, die sie uns am Abend vorliest. Oder eine andere Überraschung. So wie gestern. Da stand auf einem Zettel:
Kurz vor vier Uhr klebten wir ungeduldig am Wohnzimmerfenster. Endlich! Sie kam mit zwei prall gefüllten Tütendie Straße entlang. Eine Tüte war vom Supermarkt. Da waren bestimmt die Sachen fürs Plätzchenbacken drin. Aus welchem Laden die andere Tüte kam, konnte ich nicht erkennen. Vielleicht hatte Mama wieder für Frau Goldberg eingekauft. Das macht sie öfter.
Frau Goldberg ist nämlich eine ältere Frau, die keine schweren Tüten mehr tragen kann. Sie wohnt alleine in der Wohnung im zweiten Stock, und sie ist sehr nett. Sogar wenn wir im Treppenhaus Krach machen. Sie ist also auch tolerant.
Als Julius Mama unten auf der Straße entdeckte, rief er aufgeregt: „Mama mitbringt!“ und donnerte mit den Fäusten wie blöd an die Fensterscheibe. Ich wollte ihm schon eine schmieren, hielt mich aber zurück. Weihnachten ist schließlich das Fest der Liebe.
Aber plötzlich lief Julius im Affentempo an der verdutzten Nele vorbei in den Flur und raus ins Treppenhaus. „Mama mitbringt!“, rief er wieder und meinte natürlich: „Mama hat uns was mitgebracht.“
Als Mama Julius schwankend oben am Treppenabsatz stehen sah, erschrak sie fürchterlich. Sie ließ die Tüten fallen und rief: „Nein! Bleib stehen, Julius!“ Sie rannte hoch. Dabei knickte sie mit einem Fuß um, rutschte von der Stufe und stürzte die Treppe runter.
„Aua, aua, mein Bein ist gebrochen!“, rief sie immerzu. Papa holte schnell den Notarzt, und der brachte Mama ins Krankenhaus. Papa raste mit dem Auto hinterher. Wir mussten zu Hause bleiben, denn der Anblick von gebrochenen Beinen ist nichts für Kinder. Das fand zumindest Frau Goldberg und kam in unsere Wohnung, um auf uns aufzupassen.
Am Abend wurde Mama wieder nach Hause gebracht. Zwei Krankenpfleger trugen sie mitsamt ihrem Gipsbein in die Wohnung.
„Absolute Bettruhe, sonst wächst das Bein nicht richtig zusammen“, hatte der Arzt gesagt.
Eine Mama mit einem falsch angewachsenen Bein? Nein, das ging nicht. Wir hatten doch schon einen Papa, der behauptet, zwei linke Hände zu haben.
Frau Goldberg kam jetzt jeden Tag und kochte für uns. Mama lag auf dem Sofa und ließ ihr Bein wieder richtig herum zusammenwachsen. Papa musste viel arbeiten. Wie immer vor Weihnachten. Wir alle waren traurig. Vor allem Mama. Einmal weinte sie sogar. „Jetzt kann ich euch gar kein schönes Weihnachtsfest machen“, schluchzte sie eines Abends und gab uns einen tränennassen Gutenachtkuss.
Draußen schneite es. Und ich dachte nach. Irgendeine Lösung musste sich doch finden lassen! Erst spät schlief ich ein. Aber am nächsten Morgen hatte ich eine Idee. Gleich nach der Schule holte ich Nele und Julius in mein Zimmer, und wir hielten eine sehr geheime Kindergeheimversammlung ab.
Mama und Papa verrieten wir unseren Plan natürlich nicht. Frau Goldberg hatten wir allerdings eingeweiht, denn sie sollte mitspielen und unseren Eltern weismachen, sie kümmerte sich um unser Fest.
Am Morgen des 24. Dezember waren wir früh wach. Frau Goldberg hatte, wie versprochen, einen kleinen Weihnachtsbaum besorgt, den wir in meinem Zimmer aufstellten. Mama und Papa erzählten wir
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