24 weihnachtliche Geschichten - ein Adventskalenderbuch
auch die Frage, was wir zur Heiligen Messe und der anschließenden Bescherung anziehen sollten. Und tagelang konnten sich meine Eltern nicht einigen, was sie für Frau Neumann auf den Gabentisch legen wollten. Schließlich entschieden sie sich für ein Lebenselixier aus der Apotheke.
Frau Neumann! Frau Neumann vorn, Frau Neumann hinten – von morgens bis abends gab es nichts anderes mehr. Für mich war und blieb sie nur die alte Dame. Ein Schreckgespenst, das im beigen Kamelhaarmantel mit hochnotpeinlichem Hut und einem breiten, zahnlosen Grinsen am Weihnachtsabend plötzlich vor unserer Tür erscheinen würde. Ein Schreckgespenst, das mir ein Päckchen mit selbst gehäkelten Topflappen überreichte, um mir einen höflich altmodischen Knicks dafür abzuverlangen … Ich konnte meine Fantasien kaum bremsen. Und doch wurde mein weihnachtliches Magenkribbeln von Tag zu Tag stärker.
Währenddessen hatte Mama alles minutengenau geplant: Die alte Dame sollte am Nachmittag kommen. Nach der Begrüßung und einer Tasse edlem Kaffee mit selbst gebackenen Plätzchen wollten wir uns auf den Weg zur Kirche machen. Nach unserer Rückkehr sollte das gemütliche Festessen folgen,das dann irgendwann mit der Bescherung seinen krönenden Abschluss fand. So sah Weihnachten in diesem Jahr für meine Eltern aus. Mich fragte mal wieder keiner …
Am Morgen des 24. Dezember war ich mir doch tatsächlich nicht mehr sicher, ob ich mich überhaupt freuen sollte. Zugegeben, das Kribbeln war stark wie nie. Vielleicht, weil mir eine Überraschung mehr bevorstand?
Aber bis zum Abend hatte die alte Dame noch immer nicht Einzug gehalten. Papa lief wie ein hungriger Tiger in Esszimmer und Diele auf und ab, wobei sein Blick von Minute zu Minute finsterer wurde. Mama hatte genug damit zu tun, den Festablauf immer wieder neu zu ordnen. Inzwischen war die Heilige Messe durch die Mitternachtsandacht ersetzt worden.
Dann trat die alte Dame in unser Leben. Genauer gesagt, donnerte sie hinein. In voller Ledermontur und mit einem Helm unter dem Arm klingelte die schlanke Frau an unserer Tür und lud mich zu einer kleinen Motorradtour ein. Ich glaube, in diesem Moment bekam ich glänzende Augen. An meinem Himmel war der Weihnachtsstern aufgegangen. Gemütlich tuckerten wir auf ihrer Harley durch die weihnachtlich geschmückte Stadt. Bevor wir zurückfuhren, hielt sie am Istanbul-Grill. „Hier gibt es die besten Döner der ganzen Stadt!“, sprach sie und bestellte acht Riesenexemplare.
Papa und Mama fanden an unserem festlich gedeckten Tisch nur langsam ihre Fassung wieder. Aber sie blieben ungewöhnlich still, während meine alte Dame – inzwischen mit dem zweiten Döner in der Hand – von ihren unzähligen Motorradreisen um die halbe Welt erzählte.
Wir verstanden uns so toll, dass ich gar nicht merkte, wie die Zeit verflog. Schließlich verkündete Mama das Ende des Abends, die Mitternachtsmesse war versäumt und die Bescherung zur unwichtigsten Nebensache der Welt geworden. Meine Eltern hatten es vorgezogen, das Lebenselixier für meine Oma in Westfalen zur Seite zu stellen. Und als Papa sich verpflichtet fühlte, die alte Dame noch zum Übernachten zu nötigen, willigte sie ein. Wenig später legte sie sich mit einem Augenzwinkern auf die Gartenliege neben meinem Bett. Ob wir überhaupt schliefen in dieser Nacht, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Gequatscht haben wir auf jeden Fall noch sehr, sehr lange.
Und als sich Rosi am nächsten Morgen nach dem Frühstück für alles bedankte, sich verabschiedete und auf ihrem Motorrad davonfuhr, rollten meine Eltern heimlich mit den Augen. Ich aber konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
15. Dezember
Minna McMaster/Joachim Friedrich
Eine Weihnachts-Schweinefee für Himpelchen
„Ich möchte so gern ein Rentier sein“,
sagt Himpelchen eines Abends zu ihrem Bruder.
Himpelchen wohnt mit ihrem Bruder Pimpelchen, vier Katzen, zwei Kaninchen, einem Jungen und einem Mädchen und deren Eltern in einer Wohnung. Jeden Abend nimmt das Mädchen sie auf den Schoß, während die Mutter eine Geschichte vorliest. Am schönsten ist das in der Weihnachtszeit. Dann hören sie die Geschichte vom Weihnachtsmann, der in einem Schlitten zu den Menschen fliegt, um ihnen Geschenke zu bringen. Und dieser Schlitten wird von Rentieren gezogen.
„Ein Renntier?“, fragt Pimpelchen. „Warum? Nur, weil die rennen können? Das können wir auch!“
Damit spurtet er drei Mal um seinen Fressnapf herum.
„Ren-tier“,
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