2410 - Der Kontaktwald
Botschaft von Ar-Dus-Taar.
*
Schon aus der Luft war der Kontaktwald eine Offenbarung. Es gab kaum Worte in Afa-Hems Sprache, um ihn auch nur halbwegs treffend zu beschreiben. Selbst Ar-Dus-Taar war dies schwergefallen, als sie sie zum ersten Mal hierher mitnahm.
Das mit Begriffen der Sprache zu schildern, was sich erst in diesem Wunder verbarg, war ein absolutes Ding der Unmöglichkeit ...
Afa-Hem-F’ur ließ den Gleiter bis in fünfhundert Meter Höhe steigen, um einen Blick auf das ganze Gebiet zu haben. Jenseits der Stadt, die hinter ihr weiter schrumpfte, war das Land erst einmal öde und karg. Es gab keinen Fluss in der Nähe und keine bekannte Wasserader. Dass die ersten Siedler ihre Stadt ausgerechnet an dieser Stelle errichtet hatten, war Afa-Hem immer schon unverständlich gewesen. Städte waren mehr an Wasserwegen gebaut worden, weil sie raschen Warentransport garantierten. Im Zeitalter des interplanetarischen Raumflugs benötigte man Wasser zudem zur Kühlung von Fabriken und anderen industriellen Anlagen, es wurde zur Stromerzeugung gebraucht und für die Bevölkerung trinkbar aufbereitet.
Wasser war Leben.
An diesem Ort aber gab es definitiv kein Wasser. Entsprechend trostlos war das Land. Und dass sich ausgerechnet hier, nur wenige Kilometer von Makeshi entfernt, der schönste Flecken ausbreitete, den Afa-Hem-F’ur jemals gesehen hatte, war nicht nur erstaunlich, sondern im Grunde unmöglich.
Der Kontaktwald schob sich unter dem Gleiter wie ein riesiger grünblauer Teppich ins Bild. Er schien bis an den Horizont zu wachsen und sich nach den Seiten hin zu verbreitern, als wüchse er in genau diesem Moment aus sich selbst heraus.
Natürlich wuchs er, zwar nicht in seiner Gesamtheit und über die eigenen Grenzen hinaus, sondern in sich.
Afa-Hem-F’ur sah es vor sich. Sie sah sich selbst wieder auf den engen Pfaden, die durch das Wunder hindurchführten, und staunte voller gebannter Ehrfurcht über das ewige Werden und Vergehen links und rechts neben ihr, hinter und vor ihr, ja sogar unter ihren Füßen.
Die eigenen Grenzen ...
Ja, dachte die Kartanin, während sie den Gleiter sinken und einen weiten Kreis ziehen ließ. Die blaugrüne Oase war wie von der Hand eines genialen Künstlers geschaffen. Der Kontaktwald lag kreisförmig westlich der Hauptstadt. Er schien über die Stadt und ihre Bewohner zu wachen – und war doch so unendlich weit von ihr entfernt ...
Afa-Hem-F’ur wusste, dass sie selbst in ihren Gedanken und Vergleichen mystifizierte. Aber wer das nicht verstand, der hatte den Wald nie von innen gesehen.
Sie sehnte sich nach dem Augenblick, in dem sie aussteigen und den Fuß in das geheimnisvolle, wispernde, lebendige Blaugrün hineinsetzen würde. Sie hoffte, dass an diesem Tag nicht viele andere Planetenbewohner auf die Idee gekommen waren, sich das Wunder aus der Nähe anzuschauen.
Der Wald ließ sie alle ein, jedem der kam, aber nur immer wenige auf einmal. Mehr als drei waren es nie. Es gab Tage, da standen lange Schlangen an den Hauptschneisen an, um hineinzugelangen. Auch sie konnte dann warten, denn der Wald machte keinen Unterschied, ob nun sie vor ihm stand und Einlass begehrte oder eine xbeliebige andere Person, ein Schaulustiger oder ein Forscher, eine einfache Kartanin oder ein Würdenträger. Für ihn waren sie alle gleich – bis sie drin waren.
Denn dann begann das Sortieren.
Der Wald bestimmte, wie weit jeder Einzelne kam. Er schien sehr genau zu wissen, wen er wie weit in sich hineinließ. Viele konnten zwar etwas von ihm „wittern", einen Eindruck seiner unvergleichlichen Schönheit erhaschen, aber erhielten nie eine Chance, dass er sich ihnen in seinem wirklichen, tieferen Zauber offenbarte.
Das war allein ihr vorbehalten, der Kontaktwaldsprecherin.
Afa-Hem-F’ur seufzte. Sie spürte ihr Verlangen und konnte es kaum erwarten, den Gleiter hinter sich zu lassen – und damit alles, was sie mit der Zivilisation verband. Sie würde, wieder einmal, eine neue Welt betreten, ohne die andere, die sie geboren hatte, je vergessen zu können.
Wie sollte sie auch? Sie war nicht nur hier, um sich der Schönheit und dem Zauber des Walds zu ergeben, sondern weil diese andere Welt sie geschickt hatte.
Als Kontaktwaldsprecherin bis zu Ar-Dus-Taars Rückkehr oblag ihr diese Verantwortung, die ihr nicht gefiel, die sie nie angestrebt hatte. Kontaktwaldsprecherin zu sein bedeutete Verantwortung und Kompromissbereitschaft – beidem fühlte sie sich nicht
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