2410 - Der Kontaktwald
dieser Wald nicht nur der einzige auf ganz Quamoto, sondern so viel mehr ...
Über ihr schlossen sich die Zweige und Äste, die mit weichen, im Zwielicht samtig schimmernden Blättern oder mit langen spitzen Nadeln besetzt waren. Es gab nicht nur Laub- und Nadelgewächse, sondern Bäume, die beides auf sich vereinten. Afa-Hem war sicher, dass sie nur im Kontaktwald wuchsen.
Ihr schien, als hätte sie eine Halle betreten, ein Gewölbe aus lebendem, warm durchströmtem Geflecht, das sich auf geradezu magische Weise verband und verflocht. Sie tauchte in einen endlosen Tunnel ein, umsäumt von den herrlichsten Gewächsen, die jemals ihre Wurzeln in einen Planetenboden geschlagen hatten. Sie ging nicht, sie schwebte. Sie wandelte auf Pfaden, die sich eigens für sie geöffnet hatten. Ihre Füße setzten sanft auf, ihre Schritte verursachten keinen Laut.
Sie ging über dichtes, dickes Moos, das jedes Geräusch verschluckte.
Und es war warm. Um sie herum atmeten die Pflanzen des Waldes pures Leben und Wohligkeit aus, die im Geist selber entstand, in jeder Faser von Afa-Hems Körper. Das Licht hier war gedämpft und schien aus dem Wald selber zu kommen. Es trug sie, sie schwebte wie auf sanften Kissen.
Und überall erklang das Wispern sanfter Stimmen, das sie begleitete und führte. Sie wiesen ihr die Richtung und halfen dabei, sie mit dem Wald zu verschmelzen, bis sie überall zugleich war.
Es kam ihr so vor, als sei sie immer schon hier gewesen – als sei sie zu Hause ...
Afa-Hem-F’ur wusste genau, dass es sich dabei um eine Illusion handelte.
Trotzdem gab sie sich dem gern hin, denn alles, was sie empfand, war in diesen kostbaren Momenten real, wenn auch auf eine überzeichnete Art – so war beispielsweise Rot in diesem Wald nicht einfach ein Rot, sondern das Rot, die Essenz alles Roten. Das Gleiche galt für alle Sinneswahrnehmungen.
Hier bin ich echt.
Afa-Hem-F’ur glitt davon auf den Pfaden zwischen Wachen und Träumen, zwischen der blassen Wirklichkeit und der Realität des Kontaktwaldes. Und immer weiter drang sie vor ...
Der letzte Teil ihres Weges war allein den Kontaktsprechern vorbehalten, und selbst diese durften das Herz nicht immer besuchen. Es gab Tage, da wollte es sie nicht empfangen.
Sie kam vorbei an dunklen Orten des Waldes, die ihr Herz für einen Sekundenbruchteil erlahmen und erkalten ließen: Der Wald konnte sich wehren und sich zu einer einzigen großen, absolut tödlichen Falle für allzu Neugierige verwandeln. Es gab hin und wieder Todesopfer, wie Afa-Hem genau wusste.
Viele sagten, der Wald habe sie getötet, weil man sie stets in dessen Schatten fand. Beweisen konnte es niemand.
Einigen fehlten Arme und Beine, andere waren regelrecht ausgeweidet.
Was immer ihnen zugestoßen war, es war grässlich. Vielleicht waren sie unter großen Qualen gestorben, vielleicht schnell. Niemand konnte es genau wissen. Aber hinter der Hand wurde getuschelt und geredet. Viele glaubten, dass im Kontaktwald furchtbare Kreaturen lebten, die über die allzu Wagemutigen herfielen und sie grausam umbrachten. Manche sprachen, bei aller gebotenen Vorsicht, davon, dass der Wald selbst die Unvorsichtigen auf dem Gewissen habe.
Offen wagte das kaum jemand zu äußern, denn der Kontaktwald war wie ein Heiligtum der auf Quamoto vertretenen Völker. Wie lange es ihn gab, wusste keiner – die einen glaubten an eine Ewigkeit, die anderen an wenige hundert Jahre. Und wieder andere behaupteten, er sei nur eine Illusion ...
Das Bild war plötzlich da. Die Kartanin wollte nicht, dass es in ihr hochkam. Es war zu schrecklich. Sie hatte lange gebraucht, um es in sich zu begraben. Nur ab und zu stieg es fast bis zur Oberfläche ihres Denkens. Dann sah sie das Blut spritzen und die Schlingarme peitschen, sah die messerscharfen Klauen, die Stacheln, spitz wie Dolche, die aus wunderschönen roten Blütenkelchen fuhren, in den Leib hinein. Sie hörte wieder die Schreie, die der Pflanzen und die der Opfer ...
Es war vorbei!
Niemand brachte die Toten zurück, und der Wald war nicht schuld gewesen! Er hatte sich gewehrt – war das sein Verbrechen?
Es war vorbei. Afa-Hem-F’ur ließ sich weiter tragen. Sie tauchte tiefer und tiefer in das Wunder ein und hielt nur mit großer Mühe den Gedanken daran aufrecht, dass sie mit einer Aufgabe hierher gekommen war.
Und dass sie bei all dem wunderbaren Frieden, der sie hier im Kontaktwald umfing, und bei aller Schönheit der sich ihr offenbarenden Natur niemals
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