2414 - Die Bestie Ganymed
tun.
Nur noch warten, mit der Ungeduld des Riesen spekulieren, alle Muskeln angespannt. Die Zeigerpunkte der Uhr rückten unaufhörlich gegeneinander vor ...
*
„Wo bist du, du erbärmlicher Feigling?", brüllte der Riese. Völlig außer sich raste er durch den Raum, sprang von einem Hindernis zum nächsten, grub sich durch Morast, fräste wie eine Baumaschine lange Furchen durch die Halle.
Null blieb ruhig. Er hörte nicht auf die Schmähungen, ließ alles an sich abprallen. Sein riesiger Artgenosse ließ alle Vorsicht fallen. Je näher sich die Zeigerpunkte kamen, desto stärker verließ er sich auf die Komponenten seines Ordinärhirns.
Ein seltsames Gefühl der Wärme, der Befriedigung, durchflutete Null. Er war in der Tat die intelligenteste Bestie dieser Baureihe.
Die beiden Zeiger berührten sich.
Ein schriller Alarmton gellte durch die Halle.
„Zeig dich, damit wir es zu Ende bringen!", kreischte Nulls Gegner. In wilden, absurd wirkenden Sprüngen durchmaß er die künstlichen Landschaften. „Willst du etwa, dass wir beide draufgehen? Willst du Konzig Asmo diesen Triumph schenken?"
Ein stechender Schmerz bohrte sich in Nulls Kopf. Die Beleidigungen trafen sein Ordinärhirn, wollten die in ihm lauernde Wildheit anfachen. Er schaltete diesen Teil seines Wesens zur Gänze weg. Es ging mit erstaunlicher Leichtigkeit. Erstmals seit dem Beginn seiner bewussten Existenz fühlte er nichts mehr, war nur noch Logik, Strategie und Planung. Das Geschrei seines Widersachers konnte ihm nichts mehr anhaben.
Nebelschwaden erschienen wie von Zauberhand in der Halle. Flüssigkeit blubberte aus Erdmulden hoch. Sie verbreitete widerlichen, stechenden Gestank. Null schloss in einer bewussten Regung seine Nasenlöcher und atmete flach. Noch war er an diesem Platz sicher.
Der Riese stieß einen markerschütternden Fluch aus. Er musste in eine der Säurepfützen getreten sein.
„Zeig dich!", forderte sein Gegner nochmals. Unterdrückter Schmerz klang in seiner Stimme mit. „So darf es nicht enden; ich bitte dich ..."
Null blieb ruhig an den Wänden seines Verstecks hängen. Sein Verstand rechnete ihm unaufhörlich eine schrumpfende Anzahl von Möglichkeiten vor, die dem Riesen noch zur Verfügung standen, um ihm gefährlich zu werden. Die einzig ernst zu nehmende Variable in seinen gedanklichen Konstrukten war der Faktor Zufall. Er konnte den Gegner in seine Nähe führen, bevor ihn die Säure auf eine von sieben Anhöhen zwang, die für einige Zeit wie Inseln aus dem todbringenden Gebräu herausragten, bevor auch sie überflutet werden würden.
Eine Chance von sieben zu eins, stellte Null nüchtern fest. Alle Regeln der Wahrscheinlichkeit sprechen für mich.
Ungeheure Mengen an Säureflüssigkeit traten zutage. Die Halle flutete immer schneller. Allerorts blubberte es. Zischend vergingen Pflanzen, Steine, Kadaver, Knochen. Sie verbanden sich zu einem zähflüssigen Brei, der auf der Säure trieb. Rosafarbene und ockergelbe Wolken stiegen hoch. Sie verbanden sich miteinander und erzeugten schlierige Bilder. Phantasmagorien, die die Fantasie eines jeden Lebewesens angefacht hätten, das mehr als nur seinen puren Verstand einsetzte.
Null erkannte lediglich Farben.
Ketten chemischer Reaktionen, leicht berechenbare Strömungsmuster, Strukturformeln, Stoffmengenkonzentrationen und stöchiometrische Bilanzen. Streng abstrakte Gedankenkonstrukte fanden zueinander. Sie ließen ihn zu dem Schluss kommen, dass die Flüssigkeit auf Basis der Supersäure Fluor-Antimon-Säure aufgebaut war. Sie war mehrere Trillionen Mal saurer als Schwefelsäure und würde, wie Konzig Asmo verkündet hatte, selbst seinen Körper binnen kurzer Zeit zersetzen.
Was war mit den Wänden der Halle?
Würde die ultrahochverdichtete Metalllegierung der Seitenwände von der Säure angegriffen werden und ihm eine Möglichkeit bieten, nach draußen zu flüchten?
Nein.
Gelblicher Schimmer deutete auf einen Prallfeldschirm hin, der die Flüssigkeit wie ein Trog ummantelte.
Der riesige Gegner tat seine letzten möglichen Sprünge. Immer mehr Land löste sich auf. Es wurde von der Säure unterschwemmt, brach in breiten Brocken weg, stürzte in brodelnde und zischende Flüssigkeit.
Eine Chance von sieben zu eins. Eine nach allen Regeln der Mathematik gute, eine ausgezeichnete Chance.
Doch Null musste erkennen, dass die Muster der Wahrscheinlichkeit keinerlei Sicherheit boten. Der Riese suchte ausgerechnet auf jener Insel seine finale
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