2414 - Die Bestie Ganymed
beraubte Wand war bald erreicht. Die Zerstörungswut der anderen Bestien hatte auch vor dem gehärteten Metall keinen haltgemacht. Mit den Fingerkrallen hatten sich manche Artgenossen darin verewigt, meterlange Kratzspuren hinterlassen; offenbar mit der Absicht, irgendwie die Abschirmung zu durchdringen und ihre Peiniger dahinter zur Verantwortung zu ziehen.
Vergeudete Kraftakte!, sagte sich Null. Die Kolonnen-Anatomen sitzen nun mal am längeren Hebel. Sie geben sich keinerlei Blöße. Es bedarf eines Impulses von außen, einer Überraschung, um in ihre geschützten Bereiche vorzudringen.
Er schob sich entlang der Hallenwand vorwärts, auf einen kleinen Hügel zu, von dem aus er einen Gutteil des Geländes überblicken konnte. Dort würde er sich sammeln und eine Strategie gegen den scheinbar übermächtigen Gegner austüfteln. Der einzige Vorteil, den Null auf seiner Seite sah, war, dass der Riese nichts von seiner körperlichen Schwäche wusste. Er würde Respekt empfinden und nur dann einen Angriff wagen, wenn er sich seiner Sache absolut sicher war.
Und eine derartige – scheinbare! – Situation musste Null herbeiführen ...
„Ich habe keine Lust auf sinnlose Planspielchen!", dröhnte plötzlich Konzig Asmos Stimme durch die Halle. „Ihr werdet gegeneinander antreten; ob ihr wollt oder nicht. Achtet auf die Uhr in der Mitte der Halle. Wenn sich die beiden Zeigerpunkte treffen, wird der Raum mit Säure geflutet, der ihr selbst mit eurer Kompakt-Konstitution nichts entgegenzusetzen habt."
Die Stimme des Anatomen verwehte. Sanfte, beruhigende Musik blieb im Hintergrund erhalten. Sie klang wie der Beginn eines Requiems. Eine virtuelle Kugel senkte sich, gut sichtbar, in die Halle herab und begann sich langsam zu drehen. Leuchtend grüne Punkte bewegten sich gut erkennbar.
Sie rückten gegeneinander vor und würden sich in absehbarer Zeit am tiefsten Punkt treffen.
*
Null entschloss sich zu pokern. Er würde dem Riesen die Initiative überlassen und mit dessen Ungeduld spekulieren. Eine riskante Methode, aber wahrscheinlich die einzig gangbare. In seinem geschwächten Zustand konnte er es wahrlich nicht auf eine direkte Konfrontation ankommen lassen.
Stets in Deckung bleibend, eilte er in eine der Ecken der Halle und grub sich dort durch den Schutt, bis er den Hallenboden erreichte. Wasser einer Sumpflandschaft, die sich unweit von hier befunden hatte, sickerte augenblicklich nach. Es unterspülte die Höhle, die er sich geschaffen hatte, und würde sie über kurz oder lang mit großem Getöse zusammenbrechen lassen.
So unauffällig wie möglich entfernte er sich von diesem Ort; durch einen hastig geschaufelten Tunnel kam er nahe der anderen Seitenwand der Halle wieder zum Vorschein und zog sich in der Deckung mehrerer Felsriesen nahe jenem Versteck zurück, in dem er auf eine Reaktion des Riesen warten wollte.
Das Höhlensystem brach lautstark zusammen. Gluckerndes Wasser, mitgerissenes Wurzel- und Strauchwerk, kollernde Gesteinsbrocken und Dutzende Kadaver wurden in die Tiefe gesaugt, um sich dort zu einem Pfropfen zu vermengen.
Keine Reaktion.
Der Riese war keinesfalls einfältig und nutzte wohl wie er die Möglichkeiten des Planhirns. Und dennoch schien er berechenbar; er hatte Neugierde gezeigt, als ihm Null vorgeschlagen hatte, sich an Konzig Asmo zu wenden. Also würde er das kollabierende Höhlenlabyrinth mit Sicherheit absuchen, jederzeit mit einer Falle rechnen – und in seiner Aufmerksamkeit für kurze Zeit abgelenkt sein.
Nulls Plan zeigte hier und jetzt seine Schwächen. Es oblag seinem „Gefühl", zu sagen, wann der Augenblick gekommen war, da er sich ins Freie bewegen und das gewünschte Versteck aufsuchen durfte.
Er schloss die drei Augen und atmete tief durch. Gab dem drängenden Gefühl in seinem Inneren nicht nach und wartete ein wenig länger, als er es eigentlich vorgehabt hatte. Dann erst sprang er hervor, kletterte an seinem Ziel hoch, biss sich an der vorgesehen Stelle ins Gestein.
Null fraß so lange, bis er ausreichend Freiraum für seinen Körper geschaffen hatte, und quetschte sich dann in den entstandenen Spalt. Er hatte sich eine Stelle ausgesucht, an der seine dunkle Hautfarbe dem Gestein möglichst ähnelte. Sein Körper war über und über mit Schlamm bedeckt und deutlich abgekühlt. Selbst wenn der Riese die Infrarotsicht zu Hilfe nahm, würde er ihn für längere Zeit nicht von seiner Umgebung unterscheiden können.
Nun konnte Null nichts mehr
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