2435 - Die Nega-Cypron

Metagrav-Etappen hinter euch gebracht, nachdem ihr einsehen musstet, dass ihr in der Proto-Negasphäre verschollen seid.
    Irrtum, Irrtum.
    Ein kleiner Dämon tritt in der Sicherheit deines Kopfes gegen die Stirn, von innen. Er wütet hämisch lachend umher, macht sich über dich lustig. Ich hab’s dir doch gesagt, kreischt er voll Vergnügen, ich hab’s dir doch gesagt!
    Die Etappe endet nicht. Die JULES VERNE kann den Hyperraum nicht verlassen.
    Ab sofort geht’s hinein in die Negasphäre, ohne irgendeine Kontrollmöglichkeit.
     
    *
     
    Wiederum Bereitschaft für alle Besatzungsmitglieder. Wiederum müde, erschöpfte Mienen, die sich nach dem Genuss diverser Pharmazeutika in hoch konzentriert wirkende Gesichter verwandeln.
    Jedermann trägt einen SERUN, auch du. Die Alarmsirenen sind verstummt, mit kargen Worten hast du deine Bordkameraden über die aufgetauchten Schwierigkeiten informiert.
    Malcolm S. Daellian bewegt sich so unruhig, wie ein klobiger Sarkophag unruhig wirken kann. Seine Kunstarme erzeugen merkwürdige Bilder, die dich an Carsualschen Schwebe-Tango erinnern. Du unterdrückst ein Lächeln, weil du weißt, dass es unpassend wäre, und du konzentrierst dich auf das, was der Wissenschaftler erzählt.
    Ein Temporaler Jet-Strom hätte die JULES VERNE im Hyperraum erfasst ...
    „Lächerlich", hörst du dich sagen, „im Hyperraum?!?"
    Du bist auf den Schwall böser Widerworte des Extremwissenschaftlers vorbereitet. Er bombardiert dich mit einer Melange aus Beleidigungen, Fachvokabular und Messergebnissen, die für dich keinerlei Sinn ergibt.
    „Wie lange werden wir also auf diesem Temporalen Jet-Strom dahingleiten?", unterbrichst du die gefluchte Liturgie des Manns im Sarg.
    Du weißt, dass er keine Antwort darauf weiß. Bevor Daellian sein Versagen eingestehen kann, ändert sich etwas.
    Eigentlich: alles.
    Denn ein Rumpeln läuft durch das Deck, durch alle Decks der JULES VERNE. Es klingt, als würde das Schiff entlang eines Reißverschlusses geöffnet.
    Gegenstände und Menschen fliegen beinahe durcheinander, überschlagen sich beinahe, verletzen sich beinahe, sterben beinahe.
    Prallfelder verhindern, dass all dies geschieht. Lediglich ein kurzes Ruckeln deutet an, was hätte passieren können, wenn der wachsame Schiffsgeist NEMO nicht wäre.
    Er sorgt dafür, dass der Rückeintritt in den Normalraum ohne weitere Konsequenzen vor sich geht. Die JULES VERNE stößt mit Beinahe-Lichtgeschwindigkeit in die Schwärze Tare-Scharms zurück. Du denkst an Zeitdilatation und Verschiebungen der Realitäten, die bei diesem Tempo geschehen, und du lässt die Gedanken augenblicklich wieder fallen. NEMO, der Posbi-Pilot Saaroon und der Emotionaut Jason Colton sorgen bereits für eine maßvolle Negativbeschleunigung.
    Warum strandet ihr hier? Warum jetzt? Was sorgte dafür, dass ihr dem temporalen Jet-Strom entkommen konntet?
    Die Fachleute kümmern sich bereits darum. Daellian ist davongesaust. Aus der Enge seines Gefängnisses, das er niemals mehr wieder verlassen wird, gibt er Anweisungen, formuliert er Strategien, sucht er nach Wahrheiten.
    Aus dem zentralen Holo-Globus ploppen Informationsblasen hoch. Wie eitrige Geschwüre. NEMO tut sein Bestes, um euch mit Daten zu versorgen.
    Sie türmen sich hoch wie eine Flutwelle, die alles unter sich zu begraben droht. So muss sich Perry am Berg der Schöpfung gefühlt haben.
    Die einzelnen Abteilungen wehren sich standhaft. Sie bilden Abwehrblöcke gegen den Informations-Overkill und filtern nur jene Dinge aus, die für sie relevant sind. Die Welle wird kleiner, niedriger, schwächer. An zig Stellen bricht sie, bis nur noch Schaum übrig bleibt. Abfall, der in die positronischsyntronischen Abgründe NEMOS gekehrt wird, um dort für alle Zeiten gelagert zu werden.
    „Wir bleiben in Alarmbereitschaft", ordnest du an. „Ich will, dass die Triebwerke jederzeit auf volle Leistung gehen können."
    Du fühlst dich ... gut. Die Aktivität verstärkt deine Sinnesempfindungen und hält dich wach, auf dem Höhepunkt der Konzentration. Sie gibt dir das Gefühl, nach all den Stunden des Wartens endlich wieder etwas Sinnvolles zu tun.
    Jodeen-Nuus, der ferronische Orter, meldet sich per Holo. Erstaunen ist ihm in sein blassblaues Gesicht geschrieben, und die rostroten Haare stehen ihm steil zu Berge. „Der 5-D-Raum existiert rings um uns nicht so, wie er sollte", sagt er mit unsicherer Stimme. „Er ist ... fraktioniert. Wie ein in kleinste Fitzel zerrissenes Blatt