245 - Geisterstadt Washington
Brillengläsern.
Müde wandte er sich von seinem Spiegelbild ab und drehte an einem der verrosteten Hähne. Es zischte und gurgelte. Ein braunes Rinnsal blubberte aus dem Ventil. Seine Spritzer hinterließen Schlieren in der dunklen Kruste des Beckens. Faith krempelte die Ärmel unter seinem Poncho nach oben. Abwesend begann er seine schmalen Hände zu waschen. »Auch wenn es jeglicher Vernunft widerspricht, in diesem Moment an Rache zu denken, werde ich mich deinem Willen beugen, HERR«, betete er.
Dabei dachte er an die rund zweihundert Menschen, mit denen er im Bunker eingeschlossen war. Eingeschlossen von einer Kreatur, die Sorrow als Hand Gottes bezeichnete. Würde sie sich wirklich zurückziehen, wenn die Gottesmänner ihren Auftrag erfüllt hatten? Wie auch immer, vielleicht hatte Sorrow recht und es war von Vorteil, die Menschen in einer Ausnahmesituation auf so engem Raum beieinander zu haben. Ein Vorteil und ein Segen. Was auch immer der Inquisitor vorhatte, er, Bruder Faith, würde seiner Verpflichtung nachkommen, die führerlosen Schäfchen einzusammeln.
Es gab nicht mehr viele Rev’rend-Anhänger. Nicht einmal ein Dutzend zählten sie noch. Die meisten waren auf ihrem Kreuzzug gegen die Appalachen-Dämonen verschollen, weitere bei dem Angriff des Schleimmonsters ums Leben gekommen. Er musste alles tun, um die Verbliebenen im Bunker für die Pläne Gottes zu entzünden. Sie sollten bereit sein, wenn Sorrow Black und die Präsidentin aus dem Weg geschafft hatte. Bereit für das neue Waashton.
Faith schüttelte die rostbraunen Tropfen von seinen Händen und drehte den Hahn wieder zu. Er öffnete die schwere Tür und schlüpfte nach draußen.
»Verpiss dich, Black!«, hörte er ferne Rufe. Sie kamen von dem Schott, das zu der Bahnhofshalle führte. »Du hast uns gar nichts zu befehlen!«
Dann hallte ein Schuss durch die Gänge.
***
Matt und Aruula hatten die Nacht außerhalb der Stadt im Gleiter verbracht. Ihr Fluggerät jederzeit startbereit, hielten sie abwechselnd Wache. Doch der Mann aus der Vergangenheit kam nicht zur Ruhe. Was er vor Einbruch der Dunkelheit gestern an Zerstörung in Waashton gesehen hatte, ließ ihn immer wieder aus dem Schlaf schrecken. Quälende Fragen marterten sein Hirn: Was hatte die Stadt angegriffen? Ein Monster, das durch den Flächenräumer hierher gelangt war – durch seine Schuld? Und was war aus den Waashtonern geworden? Dieser Gedanke quälte ihn am meisten. Annähernd vierhundert Einwohner hatten in der Stadt gelebt. Konnte es wirklich sein, dass sie alle tot waren?
Auch jetzt, während sie einen verwilderten Park überflogen, stellte er sich diese Frage. Seit dem frühen Morgen hatten er und Aruula die verlassenen Behausungen entlang der Schneise untersucht: Alles deutete darauf hin, dass die Menschen fluchtartig die Stadt verlassen hatten. Keine Leichen, keine Verschütteten.
Doch gerade das war es, was Matt irritierte. Die Spuren der Zerstörung ließen auf heftige Kämpfe schließen: die umgestürzten Bagger und Katapulte vor und hinter dem Stadttor, die Barrikaden aus Steinen und Metallschrott, ausgebrannte Fahrzeugwracks und unzählige herumliegende Waffen. Und nichts wies darauf hin, dass sich noch etwas Lebendiges in der Stadt aufhielt. Weder von den Angreifern, noch von den Verteidigern die geringste Spur.
Waren die Waashtoner geflohen oder hatten sie sich an einem sicheren Ort verschanzt? Für Letzteres kamen nur die großen Zentren der Stadt, die über Bunkerräume verfügten, in Frage. Gebäude wie das Weiße Haus oder das Capitol. Genau in diese Richtung führte die Schneise der Verwüstung.
Im Augenblick war von ihr nicht viel zu sehen: Unter ihnen streckten sich die saftig grünen Baumkronen des Parks dem warmen Licht der Mittagssonne entgegen. Zwischen den Baumgruppen blitzten lindgrüne Rasenflächen mit bunten Blumenrabatten und kleinen blauen Teichen hervor.
Das Ganze erschien Matt einer anderen Welt entsprungen zu sein: ein idyllischer Ort, der versehentlich zwischen die Ruinen der Zerstörung geraten war. Doch der Eindruck verschwand, als Matt auf einer kreisrunden Lichtung einen Tieflader und darauf einen monströsen Gleiter entdeckte. »Da!«, rief er aufgeregt. »Das ist es, was die zweite Spur verursacht hat!« Er ging tiefer. Aruula kam an seine Seite und blickte ihm über die Schulter.
Der knapp dreißig Meter lange Großraumgleiter auf dem Tieflader befand sich in einem erbarmungswürdigen Zustand. Offensichtlich war er
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