245 - Geisterstadt Washington
hingen sie aneinander wie Ertrinkende. Küssten sich, als würden sie auf den Lippen des Anderen die Erlösung aus ihrer aussichtslosen Situation finden. Drängten ihre Körper aneinander, als wollten sie ineinander verschwinden und vergessen, wer sie waren, wo sie waren und was um sie herum geschah.
So war er also in Alexandra Cross’ Bett gelandet. Das Auftauchen aus dem süßen Vergessen glich einem Kater nach einer durchzechten Nacht. Nur schwerfällig gewöhnten sich Körper und Geist an die nüchterne Wirklichkeit des Seins: Die Probleme wogen schwerer, ihre Bewältigung schien aussichtsloser, und bei ihm lag eine Frau, mit der ihn weder Leidenschaft noch Verliebtsein verband. Sie war ihm sympathisch und er schätzte sie. Zu wenig für eine längerfristige Bindung. Zu viel, um sich einfach davonzustehlen. Zumal Letzteres hier unten im Bunker sowieso unmöglich war.
»Guten Morgen«, hörte er sie seufzen.
Ihre Rechte tastete nach seiner Hand. Die Armprothese ihrer Linken löste sich mit leisem Klirren aus seiner Nierengegend. Dann hob sie ihren Kopf und begegnete seinem unsicheren Blick. Weder erwiderte er den Druck ihrer Hand, noch kam ein Laut über seine Lippen. Alles was er sagen wollte, blieb ihm wie ein schartiger Stein im Halse stecken. Stumm beobachtete er, wie ihre blauen Augen sein Gesicht durchforsteten. Eine steile Falte bildete sich auf ihrer Stirn. »Wie spät ist es?« Mit einer ruckartigen Bewegung erhob sie sich und stieg aus dem Bett.
Black räusperte sich. »Schätze, kurz nach Sonnenaufgang.« Er setzte sich auf und sah ihr zu, wie sie zügig ihre Unterwäsche überstreifte. »Alexandra, wir müssen reden… über das, was –«
»Schon gut, Black«, unterbrach ihn die Präsidentin. »Da gibt es nichts zu bereden. Ich war schwach und Sie haben mich wieder aufgebaut. Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung.« Ungeduldig fingerte sie an den Knöpfen ihrer Bluse herum, die sie sich hastig übergezogen hatte. Die künstlichen Fingerglieder ihrer Prothese waren dabei eher hinderlich als hilfreich. Black schlug die Bettdecke zurück. Er wollte aufstehen und ihr helfen.
»Bleiben Sie, wo Sie sind!« Fast erschrocken schaute die Cross ihn an. Blass und unglücklich sah sie aus. Dann aber straffte sie ihre Schultern. »Die letzte Nacht war eine einmalige Angelegenheit. Eine Wiederholung ist ausgeschlossen. Weder die derzeitigen Umstände, noch unsere berufliche Zusammenarbeit lassen das zu. Das dürfte Ihnen doch von Anfang an klar gewesen sein, Richter Black?« Schmallippig griff sie nach ihrer Uniformjacke und stakste in das angrenzende Badezimmer. »Ich werde Ihnen einen Kaffee bringen lassen.« Ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, schloss sie die Tür hinter sich.
Black kam sich vor wie ein Schwein. Und war er das nicht auch? Es wäre ein Leichtes gewesen, ihr nachzulaufen und sie in seine Arme zu schließen. Doch was dann? Was hätte er ihr sagen sollen? Ich liebe dich nicht, aber lass uns Freunde sein? Nein, das machte das Ganze nur noch schwieriger für beide. Also stand er auf und zog sich an.
Wenige Minuten später verließ er wie ein Dieb die Räume der Präsidentin. Abgestandene Luft schlug ihm entgegen und vergegenwärtigte ihm wieder ihr Sauerstoffproblem.
Bedrückt darüber und über die ungeklärte Situation mit Alexandra Cross strich er zunächst planlos durch die Bunkergänge. Vorbei an unzähligen Matratzenlagern, auf denen sich Menschen unruhig im Schlaf bewegten. Vorbei an den geöffneten Türen des Auditoriums, aus denen Seufzen, Schnarchen und flüsternde Stimmen zu hören waren. Er bog in einen Seitengang ein und wäre beinahe mit einer Köchin zusammengestoßen, die mit einem halben Dutzend Männer und Frauen zur Großküche unterwegs war. Schmallippig erwiderte Black ihren Gruß.
Er nahm die nächste Biegung und befand sich nun auf dem Weg zum U-Bahnhof. In diesem Bereich lagen die Unterkünfte der Bunkersoldaten und die Krankenstation. Irgendwo dazwischen waren er und Honeybutt Hardy mit ihrer Familie in einem ehemaligen Büroraum untergebracht.
Wollte er jetzt wirklich in seiner Unterkunft der Hardy oder Bosh begegnen? Er würde sich auf private Gespräche einstellen müssen. Welcher Art auch immer diese sein würden, er konnte sich jetzt weder verstellen, noch wollte er reden. Obwohl es ihm wahrscheinlich gut tun würde, Miss Honeybutt von sich und der Präsidentin zu erzählen: Kareen würde ihn sicherlich gehörig zusammenstauchen und ihm würde es
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