245 - Geisterstadt Washington
danach besser gehen. Doch er verwarf diese Absicht sofort.
Überhaupt schalt er sich einen Narr. Wie konnte er angesichts ihrer Situation hier unten seinen persönlichen Angelegenheiten so viel Bedeutung beimessen?
Er dachte an all diese Menschen, für die er Verantwortung trug. Für die sich in den nächsten Tagen entscheiden würde, ob alle oder nur ein Teil leben durfte. Er musste sie durch die Tage des Wartens bringen. Musste mit den anderen des Führungsstabes dafür sorgen, dass keine Panik entstand. Sonst würde im allerschlimmsten Fall weit weniger als nur ein Drittel überleben. Es gab wirklich wichtigere Dinge, um die er sich jetzt kümmern musste.
So beschloss er, das Bunkergefängnis aufzusuchen. Dorthin hatte er in der vergangenen Nacht den narbengesichtigen Miles Breaker bringen lassen, der mit seinen Leuten den U-Bahnschacht stürmen wollte. Als Black gemeinsam mit Captain Roots nach dem eingegangenen Funkspruch gestern das Schott erreicht hatte, versuchte der Hohe Richter die Situation zunächst mit Worten zu klären. Doch vergeblich! Schließlich beendete Roots mit einem gezielten Streifschuss der Waffenhand Breakers den Tumult. Unter Protest ließen sich die Aufrührer zu ihren Unterkünften eskortieren, während Ben-Bakr die Wunde ihres Anführers versorgte.
Black hatte von dem Narbengesichtigen wissen wollen, wer die Information gestreut hatte, dass die Atemluft knapp wurde. Doch Miles Breaker schwieg sich darüber aus. »Von mir erfährst du nichts. Deine Tage sind gezählt, Black! Und ob es dir passt oder nicht, in wenigen Stunden werde ich mit einer doppelten Anzahl tapferer Bürger hier sein und den Schacht stürmen.« Mehr war nicht aus Breaker herauszukriegen, und Black ließ ihn vorübergehend in Gewahrsam nehmen. Inzwischen wusste er von Bosh, dass der Kerl einst zur Leibgarde von Bürgermeister Stock gehört hatte.
Nun gut, vielleicht ist Breaker nach der Nacht im Gefängnis heute gesprächiger, dachte Black und betrat den Zellentrakt. Doch es sollte zu keinem Gespräch kommen: Die Zelle des Narbengesichtigen war leer. Die beiden blutjungen Rekruten, die den Trakt bewachten, zuckten nur mit den Schultern. »Den hat vor Stunden ein Kamerad abgeholt«, erwiderten sie auf Blacks Frage nach dem Verbleib des Gefangenen. »Wollte ihn zu General Garrett bringen.« Der Richter stutzte. Er konnte sich kaum vorstellen, dass der General zu nachtschlafender Zeit einen Gefangen holen ließ.
Mr. Black machte sich auf, um den obersten Befehlshaber der Bunkerstreitkräfte in seiner Unterkunft aufzusuchen. In dessen Domizil angekommen, wandte Diego Garrett sich überrascht von einem mannshohen Standspiegel ab, vor dem er gerade kritisch den Sitz seiner Uniform überprüft hatte. »Was führt Sie zu dieser frühen Stunde zu mir?« Noch überraschter war er, als er den Grund für Blacks Kommen erfuhr. »Weder habe ich jemanden beordert, diesen Miles Breaker zu mir zu bringen, noch hatte oder habe ich den Wunsch, diesen Aufrührer überhaupt zu sehen«, erklärte er dem Richter mit Nachdruck.
Damit bestätigte er nur, was sich Black längst gedacht hatte: Breakers Kumpane hatten ihren Anführer befreit. Und der würde nicht lange warten, erneut zuzuschlagen…
***
Aruula durchstreifte die Trümmer des einstigen Fordtheaters. Ein lauer Wind strich durch ihre schwarze Haarmähne. Es war schwül. In der letzten Stunde hatten sich wieder graue Wolken vor die Sonne geschoben. Es musste hier viele Tage lang geregnet haben. Der Geruch nach moderiger Feuchtigkeit stieg aus Schutt und aufgebrochenem Mauerwerk. In Mulden und Ritzen hatten sich kleine Tümpel gebildet, in denen braunes Wasser stand. Eine Grabesruhe lag über dem Ort.
Der Blick der Kriegerin glitt über die unzähligen roten Behälter, die hier überall herumlagen. Feuerlöscher, wie Maddrax sie genannt hatte. Momentan machte sich ihr Gefährte an einem der tonnenförmigen Tröge zu schaffen, die er Betonmischer nannte. Etwa zwanzig Schritte entfernt von Aruula stand er knöcheltief im Dreck und drehte am Eisenrad einer der Maschinen.
Eine mächtige Explosion hatte diesen Ort in Schutt und Asche gelegt, so viel war klar. Wie viele Menschen dabei ums Leben gekommen waren, blieb ungewiss. Aruula warf einen nachdenklichen Blick auf die Knochenfundstücke, die sie mit Maddrax zu einem Haufen zusammengetragen hatten. Sogar einige Zähne hatten sie gefunden. Die menschlichen Überreste waren mit einer schwarz-grünen Patina überzogen, die aussah
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