248 - Entfesselte Gewalten
tastete sich bis zur Tür der Vorratskammer. Dahinter war das Stöhnen und Röcheln jetzt deutlicher zu hören.
Die Frauen des Harems! Ihre Rivalinnen! Die gerissenen Weiber hatten weit mehr Blessuren abbekommen als sie, ganz gewiss! Dort draußen gab es ja kein Gemüse, das sie hätte polstern können! Der Gedanke erregte Elloa. Sie stellte sich Naakiti und Babagaya mit zerschlagenen Knochen und blutigen Nasen vor. Behutsam fasste sie Klinke und Schlüssel. Sollte sie es wirklich wagen?
Sie wagte es und schloss die Tür auf.
Zwei oder drei Frauen stürzten ihr entgegen, als sie die Tür aufzog. Erschreckt wich Elloa zur Seite. Dumpf hörte sie die Körper aufschlagen. Das Stöhnen und Röcheln war jetzt deutlicher zu hören. Ein Lichtschein fiel in die Vorratskammer. Er stammte von einer einsamen Lampe, die im Gang davor an der Wand steckte. Die Leuchtkäfer darin erhellten die Umgebung.
Der Boden des Ganges war an mehreren Stellen gerissen und hatte ein starkes Gefälle. Sämtliche Frauen des Kaisers lagen dort. Viele waren bewusstlos, einige bewegten sich und stöhnten und röchelten. Überall sah Elloa Blut. Sie erschrak nicht; sie wurde froh. Fast hätte sie laut aufgelacht.
Am Ende des Ganges knieten die Lieblingsfrau des Kaisers und die erste Frau des Harems. Naakiti und Babagaya beugten sich über zwei Verletzte. Mit Elloas rotem Hochzeitsschleier band Babagaya einer der Verletzten eine Wunde im Oberschenkel ab, aus der helles Blut pulsierte. Es war eine der beiden Dienerinnen. Elloas Augen wurden zu Schlitzen.
Weder Naakiti noch Babagaya hatten einen Dolch in der Hand. Elloa registrierte es, und etwas wie Zuversicht durchströmte sie. Wessen Stunde war das? Die Stunde ihrer Rivalinnen – oder ihre Stunde?
»Dies ist die Stunde der künftigen Kaisergattin«, murmelte Elloa. Sie richtete sich auf und strich ihr grünes Hochzeitskleid glatt. Ein Blick in die Vorratskammer – die verletzte Frau dort richtete sich über der bewusstlosen auf. Ein Dolch mit einer langen und leicht gebogenen Klinge lag zwischen beiden in den Salatblättern.
Eine der vielen Klingen, die das Leben der künftigen Kaisergattin hätten auslöschen sollen.
Blitzschnell riss Elloa die organische Lampe aus der Wand, sprang zurück in die Vorratskammer und schlug sie der Verletzten gegen die Schläfe. Die kippte bewusstlos zur Seite, während die Leuchtkäfer durch das zerbrochene Glas stoben und sich im Raum verteilten. Elloa aber bückte sich nach dem Dolch, ergriff ihn und zog ihn der Ohnmächtigen durch die Kehle. Die Verletzte sah es und verstummte augenblicklich. Elloa ging zu ihr. Sie kannte sie nicht, sie empfand weiter nichts als Gleichgültigkeit, und sie stieß ihr die Klinge tief ins Herz.
Zurück im Gang sah sie, wie Naakiti und Babagaya sich aufgerichtet hatten und im Halbdunkel nach ihren Dolchen tasteten. Weil Elloa über die Verletzten und Bewusstlosen hinweg auf sie zu stelzte, erhoben sie sich ächzend. Sie waren deutlich geschwächt, keine Frage. Ihre Augen waren geweitet vor Schrecken, ihre Blicke voller Angst. Sie hinkten ans Ende des Ganges und verschwanden dort hinter der Ecke, von der aus die Treppe hinunter zum Hinterausgang führte.
Elloa machte sich keine Gedanken: Naakiti und Babagaya waren verletzt, weit würden sie nicht kommen.
Sie betrachtete die Anderen. Einige Frauen starrten sie an, manche ängstlich, andere flehend. »Haben nicht die Götter ihr Urteil gefällt?«, fragte Elloa. Ein böses Lächeln entspannte ihre Züge. »Ich vollstrecke also nur ihren Willen.«
Sie schritt zurück zur Vorratskammer, und jeder Frau, über die sie hinweg stieg, schnitt sie die Kehle durch. Als sie schließlich kehrt machte, saugte sich der Saum ihres Hochzeitsgewandes voll mit dem Blut ihrer Opfer.
Elloa huschte um die Ecke und dann die Treppe hinunter. Sie musste eine Kluft überspringen, die sich in den Stufen aufgetan hatte. Es sah aus, als hätte ein Titan die Stufen mit einem gigantischen Vorschlaghammer zerschmettert.
Die Wand mit der Tür ins Freie war vollständig zusammengebrochen. Bretter, Balken, Latten und Fensterrahmen lagen kreuz und quer. Elloa sah Naakiti und Babagaya durch eine Lücke in der zertrümmerten Wand klettern. Grimmige Freude erfüllte sie, als sie ihre Rivalinnen verfolgte.
Noch immer hatte sie keine genaue Vorstellung davon, was eigentlich geschehen war. Ein Orkan? Ein Vulkanausbruch? Ein Angriff? Eine schreckliche Katastrophe hatte sich ereignet, so viel war ihr klar. Doch
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