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248 - Entfesselte Gewalten

248 - Entfesselte Gewalten

Titel: 248 - Entfesselte Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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an seinem Schädel und Brustkorb. Sie verbanden ihn mit den unförmigen Pilzformationen rund um die zerbrochene Spezialzelle, und er hatte das unbestimmte, sehr unangenehme Gefühl, als wollten sie etwas aus ihm heraussaugen.
    »Was ist los mit dir?« Daa'tan nahm seine Hände von den Schultern des Daa'muren. »Verändert sich der Pilz?« Plötzlich zuckte er zusammen. Er presste die Handballen gegen seine Augenhöhlen und verharrte reglos. Sekundenlang lauschte er auf diese Weise in sich hinein.
    Grao'sil'aana sah, wie die Pilzfäden und -tentakel, mit denen er sich verbunden hatte, zu pulsieren begannen, als würde ein starker Herzschlag Blut durch sie hindurch treiben.
    Etwas geschah.
    Daa'tan öffnete die Augen. Die wilde Freude war aus seiner Miene gewichen, die Grausamkeit hatte sich in Hass verwandelt. »Mein Vater…«, flüsterte er. »Ganz in der Nähe…« Jetzt huschte ein verzerrtes Lächeln über seine Züge, irgendwie kindlich wirkte er für die Dauer weniger Augenblicke. »Meine Mutter…« Er schluckte, richtete sich auf und fuhr mit festerer Stimme fort: »Meine Mutter ist auch hier…«
    »Bist du ganz sicher, Daa'tan?« Wie immer zweifelte der Daa'mure. Doch war es nicht geradezu seine Berufung, zu zweifeln und misstrauisch zu sein? Ohne seine zweifelnde Art, die Welt wahrzunehmen, ohne sein Misstrauen hätte Daa'tan wahrscheinlich nicht bis zu diesem Tag überlebt.
    »Sie sind hier, Grao!« Daa'tan wirkte aufgeregt. »Glaub es mir: Meine Eltern sind ganz in der Nähe!«
    Grao'sil'aana begriff, dass sein Schützling mental mit einem der Pilz-Späher in Verbindung stand. »Der Pilz hat sie ungefähr sechzig Kilometer entfernt von hier entdeckt. Sie sind mit einem mechanischen Fluggerät unterwegs und haben drei Leute aus einer havarierten Roziere an Bord genommen.«
    »Wir sollten uns in einen Unterschlupf irgendwo im Dschungel zurückziehen«, drängte Grao'sil'aana. »Dort können wir beraten, wie wir gegen Mefjuu'drex vorgehen.«
    »Das dauert viel zu lange!«, widersprach Daa'tan. »Nein, nein, ich habe keine Zeit mehr zu verlieren. Ich will meine Mutter! Und den Mistkerl will ich tot sehen!«
    Die Pilzformation bildete eine Gasse. Durch sie hindurch ging Daa'tan in Richtung der abgestürzten Wolkenstadt. »Komm mit! Wir werden dem Mistkerl eine Falle stellen!« Er stapfte ins Unterholz. »Aber zuerst will ich mein Zepter und mein Schwert Nuntimor wiederhaben!«
    ***
    Wimereux-à-l'Hauteur
    Die Sinne schwanden ihr, sie sah Sterne. Um sie herum krachte, splitterte und dröhnte es, als ginge die Welt unter.
    Stimmen schrien gellend, gingen in Stöhnen und Wimmern über oder erstarben ganz. Vergeblich versuchte Königin Elloa, den Kopf zu heben. Es war, als würde etwas sie einzementieren. Sie schmeckte Blut und Salat auf der Zunge. Lebte sie noch, war sie tot? Was war geschehen?
    Erst als die Welt nicht mehr vibrierte, splitterte und krachte, spuckte sie Blut und Salat aus und wagte wieder zu atmen. Ihre Lungenflügel blähten sich auf, scharf sog sie die Luft durch die Nase ein. Tot sein konnte sich unmöglich so anfühlen.
    Die schöne Elloa lebt noch, dachte sie. Die kluge, die starke, die mächtige Elloa lebt noch, den Göttern sei Dank…
    Sie ertastete überall Salatblätter, wühlte sich durch einen feuchten, weichen Berg. Es beruhigte sie außerordentlich, ihre Finger und Arme noch bewegen, ihren Brustkorb noch dehnen zu können.
    Etwas Schreckliches musste geschehen sein, etwas unaussprechlich Entsetzliches. Es gelang ihr nicht, sich dieses Schreckliche vorzustellen; sie wollte es auch gar nicht. Noch zu atmen, sich noch als lebendig zu erfahren, das genügte ihr.
    Ihre Finger bohrten sich durch Schichten von Salat ins Freie. Sie hob ihren Kopf aus dem Grünzeug. Es war fast dunkel. Sie kroch aus dem Haufen Salatköpfe. »Das Gemüse hat mich gerettet«, murmelte sie. »Wie klug, sich darin zu verstecken… so habe ich mich selbst gerettet…« Sie wusste nicht, was sie redete. Erst nach und nach zog sich der Schrecken aus ihren Gliedern zurück.
    Sie richtete sich auf die Knie auf, lauschte in die Dunkelheit. Von fern hörte sie Schreie – Hilferufe und Befehle –, von nahem Stöhnen und Röcheln. Und über allem lag ein eigenartiges Zischen. Sie spürte den Stoff ihres Hochzeitskleides zwischen den Fingern. Das beruhigte sie.
    Sie richtete sich auf. Der Boden kam ihr eigenartig schräg vor. Sie wagte ein paar Schritte, stolperte über Salatköpfe, fiel hin, stand wieder auf und

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