25 - Ardistan und Dschinnistan II
Fünfpfennige steckt. Man hatte sie verstopft, mit von der Erde
aufgehobenem, naß gemachtem Staub, damit niemand sie bemerken möge. Das
war genau dieselbe Art, in der man auch die Spalten und Risse am
‚Wasserengel‘, der in der Nähe des Engpasses Chatar stand, unsichtbar
gemacht hatte. Das fiel mir auf.
„Ein Loch, ein Loch, ein Schlüsselloch!“ sagte Halef. „Nicht wahr, Sihdi?“
„Es scheint so“, stimmte ich bei.
„Und drüben auf der andern Seite wohl auch?“
„Wollen sehen!“
Als ich auch dort den Staub entfernt hatte, kam eine ganz gleiche Öffnung zum Vorschein.
„Sonderbar, höchst sonderbar!“ wunderte sich der Mir. „Aber nun der
Schlüssel! Wo mag der sein? Vielleicht liegt er hier irgendwo
versteckt!“
„Das glaube ich nicht“, antwortete ich. „Einen so wichtigen
Gegenstand versteckt man nicht grad da, wo der Wunsch, ihn zu besitzen,
am lebhaftesten ist. Doch, warte!“
Es fiel mir nämlich grad in diesem Augenblicke jenes Schlüsselmesser
des Maha-Lama von Dschunubistan ein, welches ich am andern Tag an der
Stelle fand, an welcher er mit dem ‚obersten Minister‘ gelagert hatte.
Ich hatte es mir gut aufgehoben. Es steckte in dem sichersten Winkel
meiner Satteltasche. Ich holte es jetzt aus ihm hervor und bog die
Klinge in die damals von mir beschriebene Lage. Dann steckte ich die
Spitze in das Schlüsselloch und drehte. Es ging! Ich hätte laut
aufjubeln mögen! Denn ich ahnte, daß von der Brauchbarkeit dieses
Messers auch noch andere, sehr wichtige Dinge abhängen würden.
„Er kann öffnen, er kann öffnen!“ rief der Mir ganz verwundert.
„Oh, mein Effendi kann alles, und ich nachher auch!“ antwortete Halef in sehr stolzem Ton.
„Ich habe gesagt, daß er sich auf mich verlassen könne, und nun muß
ich mich auf ihn verlassen! Bitte, Effendi, schließ auch die andere
Öffnung auf.“
„Wenn du weggegangen bist, eher nicht!“
Er stand nämlich grad vor dem Stein, der sich bewegen sollte. Darum fügte ich hinzu:
„Weil die schwere Tür dich, sobald sie aufgeht, niederwerfen und zermalmen würde.“
Da trat er schnell zur Seite. Ich steckte die Messerspitze nun auch
in die andere Öffnung, und sie bewährte sich ebenso wie drüben. Kaum
hatte ich sie herumgedreht, so bewegte sich der Stein. Er verließ
infolge seines eigenen Drucks seinen bisherigen Platz, trat aus der
Mauer heraus, rollte über die erste Platte abwärts, auf der zweiten
aufwärts und blieb dann stehen. Trotz seines Gewichts von vielen
Zentnern brauchte man ihm nur einen kleinen Rückstoß zu geben, so
kehrte er von der zweiten über die erste Platte auf seinen Platz in die
Mauer zurück. Eine kühle, reine Luft drang zu uns herein. Die Pferde
atmeten sie in lauten Zügen ein.
„Gerettet!“ rief der Mir.
„Oho!“ zweifelte Halef.
„Nicht so laut!“ warnte ich. „Und schnell die Lichter aus! Wir
wissen ja nicht, wohin wir kommen! Unsere Rettung ist noch keineswegs
beendet; ich meine vielmehr, daß die Gefahr erst jetzt beginnt. Treten
wir vorsichtig hinaus! Und vor allen Dingen still, ganz still!“
Es war draußen fast so dunkel wie im Innern des Kanals. Erst nach
einiger Zeit, als die Augen sich eingewöhnt hatten, sahen wir, daß wir
uns auf einer Art Veranda, Laube, Perron oder Kolonnade befanden, die
tief in den Felsen gehauen war, so daß vorn nur noch die mächtigen
Säulen standen, auf denen der Oberfelsen ruhte. Das Gestein über uns
verhinderte, daß wir den Himmel sahen. Aber als wir nach vorn gingen,
konnten wir den Blick zu den Sternen erheben, die über uns leuchteten.
Eine klare, deutliche Umschau war freilich nicht möglich. Jeder Umriß
zerfloß und verschwamm. Der Mir hatte ein ganz anderes Leben geführt
als Halef und ich. Seine Sinne waren ungeschärft geblieben. Er
behauptete, gar nichts zu sehen, als nur die Sterne. Wir aber bemerkten
trotz aller Unendlichkeit sehr wohl, daß wir uns in einer
außerordentlich schroffen Bodenvertiefung befanden, in deren Mitte eine
Tafel mit einem hohen, beflügelten Gegenstand zu stehen schien,
vielleicht eine Figur.
„Hast du jetzt nun eine Ahnung, wo wir uns befinden?“ fragte ich den Mir.
„Nein“, antwortete er.
„Wir stehen in einem ungeheuren kreis- oder länglichrunden Kessel, dessen Wände senkrecht aufzusteigen scheinen.“
„Den gibt es nicht“, behauptete er.
„O doch! Es muß ihn geben, denn ich sehe ihn ja! In der Mitte dieses
Kessels gibt es etwas wie eine Insel, und auf ihr eine
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