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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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einzigen, der mich
beleidigt oder kränkt; sie lieben mich alle. Werde ich trotzdem noch
hundert Jahre leben, wenn ich auf dein Verlangen eingehe?‘ – ‚Ja,
sogar noch länger als hundert Jahre. Du wirst leben, bis du so viel
Menschen in den See geworfen hast, daß er austrocknet und wieder
verschwindet. Beleidigt dich keiner, so hast du keinen zu ersäufen.
Beleidigt dich aber einer und du ersäufst ihn nicht, so stirbst du
augenblicklich, und deine Seele ist mein für alle Ewigkeit.‘ In seinem
Wunsch, noch hundert Jahre älter zu werden, unterschrieb der Maha-Lama
diesen Pakt mit seinem Blut. Er war überzeugt, keinen einzigen Menschen
opfern zu müssen, weil sie alle ihn bisher liebten. Aber als man die
plötzlich emporgestiegene, unübersteigbare Felsenmauer sah und daß
hinter ihr der Fluß verschwunden war, der so viele Leute ernährte, gab
es doch einen, der die Schuld auf den Maha-Lama warf, der sich, als es
geschah, an der Unglücksstelle befunden hatte. Dieser wollte ihm
verzeihen; er war dies ja so gewöhnt. Da aber erschien ihm der Teufel,
zeigte ihm den verborgenen Weg zum See, den nur er, doch kein anderer,
finden konnte, und gab ihm nur einen einzigen Tag Zeit, entweder diesen
Mann zu ersäufen, oder selbst zu sterben und seine Seele zu verlieren.
Da gehorchte der Maha-Lama. Der Mann verschwand heimlich und wurde
nicht wieder gesehen. Das erregte Verdacht gegen den Maha-Lama. Man gab
diesem Verdacht Worte, doch wer dies tat, verließ sein Haus und kehrte
nicht wieder zurück. Dadurch steigerte sich der Verdacht zur Gewißheit.
Die Anhänger verwandelten sich in Gegner, die Freunde in Feinde, und
endlich wurde er ebenso allgemein gefürchtet und gehaßt, wie man ihn
früher achtete und liebte. Das Wasser hatte schon längst den See
gefüllt und sich einen Durchbruch nach seiner früheren Mündung gebohrt,
und es mehrten sich die Unglücklichen, die, an schwere Steine gebunden
in die Tiefe gesenkt wurden. Der erst fast grundlose Krater füllte
sich. Der See wurde immer seichter und seichter. Und noch waren die
hundert Jahre lange nicht vorüber, so war kein Platz mehr für die
Leichen vorhanden. Sie wurden von dem Flüßchen aus dem nun völlig
angefüllten See heraus an die Öffentlichkeit geschwemmt, und dadurch
kam der vieltausendfache Mord an den Tag. Der Maha-Lama war zum
Wüterich, zum Heuchler, Lästerer und Verbrecher geworden, und das Volk
trat zusammen, um ihn zu züchtigen. Der Teufel aber kam zuvor und holte
ihn, weil dies eine Beleidigung für ihn war, die er nicht bestrafte.
Die durch Teufelskraft aus der Erde emporgestiegenen Felsenmauern waren
gemieden und gehaßt gleich vom ersten Tag an; aber als man erfuhr, was
sich hinter ihnen ereignet hatte, waren sie es doppelt. Und als nun
später gar das Nebenflüßchen mit dem großen Strom verschwand und über
die ganze Stadt und ihre Umgegend der Tod und die Wüste kam, da
erzählte man sich, daß in jeder Nacht, sobald es dunkel geworden ist,
der Geist des Maha-Lama am Ufer seines ausgestorbenen Sees erscheine,
um auf einen Helfer zu warten, der ihn von seinen Höllenqualen erlöst.“
    Nun schwieg der Mir. Er war mit seiner Erzählung zu Ende. Auch wir
schwiegen. Der Eindruck dessen, was wir gehört hatten, war kein
gewöhnlicher. Jedenfalls nicht nur durch die Erzählung an sich, sondern
ebenso auch durch den Ort, an dem wir uns befanden. Erst nach einer
längeren Pause fügte er hinzu:
    „Das war die alte Sage von dem Maha-Lama-See. Was meinst du, Effendi, ist sie eine Lüge oder eine Wahrheit?“
    „Wahrscheinlich beides, nämlich eine in Lügen eingekleidete
Wahrheit. Solange es dunkel ist, läßt sich gar nichts sagen; aber
dieses Rätsel wird wohl auch nicht anders zu lösen sein als alle die
andern Lebensprobleme, die im Gewand der Sage und des Märchens
erscheinen, weil sie sonst unfaßbar bleiben würden. Wenn die Figur, die
da drüben vor uns steht, wirklich ein Engel ist, so bist du vielleicht
der Mann, der gekommen ist, den Maha-Lama von seinen Höllenqualen zu
erlösen.“
    „Ich?“ fragte er erstaunt.
    „Ja, du!“ antwortete ich.
    „Ich weiß nicht, was du meinst! Ich begreife dich nicht!“
    „Das ist jetzt auch nicht nötig. Du hast nicht zu hören, sondern zu
sehen, was ich meine; das kannst du aber erst dann, wenn es hell
geworden ist.“
    „So fürchtest du dich also nicht vor dem Maha-Lama-See, wenn er es wirklich ist?“
    „Fürchten? Ich freue mich auf ihn!“
    „Und die Geister und Gespenster, von

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