25 - Ardistan und Dschinnistan II
sondern daß alles gewiß und greifbar wirklich ist. Wir werden geleitet; wir werden geführt. Wir sind hier nicht allein!“
„Du meinst, daß es außer uns noch andere lebende Wesen hier gäbe? Noch andere Menschen?“
„Ja.“
„Wer könnte das sein?“
„Denke nach!“
„Das werde ich tun. Ich bitte dich, mich zu entlassen! Nachdem ich in diesen beiden Sälen gewesen bin, ist mir alles gleichgültig was wir noch finden können. Ich muß allein sein. Ich muß mich sammeln. Du wirst das begreifen. Zum Abendessen stelle ich mich bei euch ein.“
Ich begriff nicht nur sein Bedürfnis, ungestört zu sein, sondern ich konnte mich so in ihn hineindenken und hineinfühlen, als ob ich ganz an seiner Stelle sei. Denn, aufrichtig gesagt, ist doch wohl ein jeder Mensch in Beziehung auf das, was er innerlich zu leben und zu kämpfen hat, ein größerer oder kleinerer Mir von Ardistan, der zwischen dem unsichtbaren Mir von Dschinnistan und dem Verräter ‚Panther‘ um den leeren Titel kämpft, den nur derjenige auszufüllen vermag, der den letzteren durch den ersteren bezwingt.
Während der Mir sich langsam entfernte, wandten wir anderen uns den noch zu erforschenden Räumen zu. Da hörte ich seine Stimme hinter uns und drehte mich um. Er war stehengeblieben und winkte. Ich ging auf ihn zu. Als ich ihn erreichte, fragte er:
„Du weißt, wer es ist, der hier so über uns waltet?“
„Ja“, nickte ich.
„Wer?“
„Natürlich der Mir von Dschinnistan, kein anderer!“
„Mein Feind!“
„Dein bester, treuester Freund! Er wird es dir beweisen. Denn es gibt leider, leider Menschen, denen es ohne handgreifliche Beweise unmöglich ist, zu glauben und zu vertrauen. Und dann, wenn sie durch diese Beweise bezwungen und überwunden worden sind, rühmen sie sich ihres Glaubens und verlangen, daß er ihnen hoch angerechnet werde!“
„Du wirst wieder einmal streng, Sihdi, sehr streng! Und doch wollte ich dir eine Bitte aussprechen, zu deren Erfüllung deine ganze Güte gehört.“
„Welche Bitte? Ich erfülle sie dir gern, wenn ich kann.“
„Und lachst mich nicht aus?“
„Auslachen? Ich glaube, unsere Lage, und ganz besonders die deine, ist so heilig ernst, daß du so etwas gar nicht fragen solltest!“
„Du hast recht, Effendi; verzeih! Also bitte: Willst du heut nacht anstatt hier im Freien da drinnen in der ‚Dschema der Toten‘ schlafen?“
Ich wußte sofort, was er wollte, und antwortete darum: „Sehr gern!“
„Und fürchtest dich nicht?“
„Fürchten? Vor wem? Selbst wenn ich mich fürchtete, wäre ich doch nicht allein, denn du bist dabei, um die Schuldbücher deiner Vorfahren zu lesen.“
„Wie kommst du auf diese Idee?“
„Sie versteht sich ganz von selbst. Ich werde schlafen, und du wirst mit Wörtern und Zeilen, mit Zahlen und Ziffern, mit Schlangen und Ungeheuern ringen. Aber bedenke, daß du schon deine letzten Nächte geopfert hast! Mute deiner Kraft nichts Übermenschliches zu! Und wenn du mich brauchst, so wecke mich auf, damit ich dir helfen kann!“
„Mir können nur zwei helfen, zu denen du nicht gehörst, nämlich Gott und ich allein. Oh, wenn ich beten könnte, beten, beten, beten! Ich gäbe viel darum, sehr viel, sehr viel! Denn ich ahne, daß vor allen Dingen erst der himmlische Richter mit mir und meinen Ahnen abzurechnen hat, ehe die ‚Dschema der Toten‘ oder die ‚Dschema der Lebenden‘ sich mit mir befassen kann. Das Urteil, welches die Dschema fällt, muß vorher zwischen Gott und mir gesprochen werden, und der Weg zu ihm ist auch heute noch derselbe, der er stets gewesen ist, nämlich das Gebet. Ich kenne ihn noch nicht! Also, du erfüllst meinen Wunsch und schläfst im Saal der Beratung?“
„Ja.“
„Ich danke dir! Es ist nicht etwa die gewöhnliche, törichte Angst vor Leichen, welche mich wünschen läßt, nicht allein zu sein, sondern die Vorsicht, die ich nicht nur mir, sondern auch euch andern allen schuldig bin. Es geschieht hier Wunderbares. Und alles, was sich ereignet, ist von größter Wichtigkeit. Niemand weiß, was mir in der Nacht, während ich mich bei den Toten befinde, begegnet. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich vor eine schnelle, augenblickliche Entscheidung gestellt werde, die ich nicht allein auf mich nehmen kann. Darum ist es mein Wunsch, dich in der Nähe zu haben. Doch bitte ich dich, halte es geheim! Niemand braucht zu wissen, daß wir uns während der Nacht nicht auch im Freien befinden.“
Jetzt gab er mir die Hand
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