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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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und ging. Ich kehrte zu den andern zurück. Es war mir schwer geworden, seinen Wunsch, beten zu können, scheinbar gleichgültig hinzunehmen. Er hatte mich nicht nur gerührt, sondern tief ergriffen. Aber zu dieser Ergriffenheit gesellte sich die Freude. Wer das Verlangen fühlt, beten zu können, dem steht die Erhörung schon nahe, denn schon dieser Wunsch ist Gebet, und zwar dasjenige Gebet, welches sicherer in Erfüllung geht als jedes andere.
    Es geschah so, wie ich gesagt hatte: Wir setzten die Untersuchung der Baulichkeiten fort und wurden noch vor Abend fertig damit. Im letzten, ganz im Westen liegenden Gemach entdeckten wir gegenüber der Tür, durch welche wir eingetreten waren, eine zweite Tür, die durch denselben Schlüssel geöffnet werden konnte. Wir schlossen auf, und als der mächtige Quader sich in das Zimmer hereinbewegt hatte und wir dann durch die so entstandene Öffnung traten, befanden wir uns – im Freien und hatten also nicht mehr das Vergnügen, uns als Gefangene betrachten zu dürfen. Wir waren zwar überzeugt gewesen, auf jeden Fall wieder frei zu werden, atmeten aber doch erleichtert auf, als wir diese Erwartung zur Wirklichkeit geworden sahen.
    Wenn man durch diese Tür hinaustrat, befand man sich ganz draußen vor der Stadt, auf einer Schutthalde, welche von dem Bergesring des Maha-Lama-Sees herabgebröckelt war. Man konnte von hier aus durch die Zitadelle oder auf einem weiteren, freien Bogen nach der Stadt und dem Fluß gelangen. Wir taten das aber nicht. Es genügte uns, zu wissen, daß es in unserm Belieben stand, in jedem Augenblick das Gefängnis, in dem wir elend verschmachten sollten, zu verlassen. Wir traten wieder in das Innere zurück, schoben den Türquader in die Öffnung, schlossen ihn fest und erklärten damit unser heutiges Tagewerk für vollbracht. Ich gestehe allerdings, daß wir gar zu gern nach der Stadt geritten wären, um dem lieben ‚Gefängnis Nummer fünf‘ unsern Besuch abzustatten und nachzusehen, wie die Verhältnisse dort standen. Aber dazu war die Zeit bis zum Abend viel zu kurz, und so beschlossen wir, uns das für morgen aufzuheben. Wir verfügten uns also nach der Stelle der Säulenhalle, die wir als unser Lager auserkoren hatten und wo sich Halef als unser Oberkoch mit großem Eifer an die Zubereitung des Abendessens machte. Um dies zu können, bat er mich, die Besorgung seines Rappens mit zu übernehmen, sobald ich dem meinen Futter und Wasser geben würde. Als ich bei der Erfüllung dieses seines Wunsches war und mich also bei unsern beiden Pferden befand, kam der Dschirbani zu mir. Er pflegte immer ernst, schweigsam und nachdenklich zu sein; heut aber hatte er sich in diesen drei Eigenschaften mehr bewährt als zu jeder andern Zeit. Auch jetzt lehnte er sich an den nahe stehenden Pfeiler, sah mir und den mich liebkosenden Pferden eine ganze Weile still zu und sagte nichts.
    „Nun?“ fragte ich endlich lächelnd. „Muß ich auch hier bei dir erst den richtigen Schlüssel finden?“
    „Nein“, antwortete er. „Du besitzt ihn ja schon lange, gleich von dem Augenblick an, an dem ich dich zum ersten Mal sah!“
    „Und doch sagst du nichts, obgleich du sprechen möchtest?“
    „Ich bin mir nicht klar, und Unklares zu sagen, ist meine Gewohnheit nicht. Seit ich hierhergekommen bin, befinde ich mich in einer Welt, von der ich weiß, daß sie mir völlig unbekannt ist, und doch aber will es mir scheinen, als ob ich sie bereits kenne.“
    „Vielleicht warst du schon einmal hier, in deiner frühesten Jugend, mit deinem Vater?“
    „O nein!“
    „Oder du hast alte Abbildungen dieser Gegend gesehen?“
    „Auch nicht.“
    „So wurde vielleicht von ihr gesprochen?“
    „Ja, das ist es, das! Aber nur heimlich, ganz heimlich wurde von ihr gesprochen.“
    „Von wem?“
    „Von Vater und Mutter. Niemand durfte dabeisein. Nur ich allein wurde geduldet, denn ich war noch sehr klein, noch Kind, noch nicht einmal Knabe. Aber dennoch haben sich gewisse Worte, Namen, Ausdrücke und Redebilder in mir festgesetzt, die mir verborgen blieben, jetzt aber plötzlich erscheinen und einander begrüßen und ergänzen. Ich war heut wie ein Träumender; ich war wieder das Kind. Ich sah Vater und Mutter. Ich hörte ihnen zu. Sie sprachen von der ‚Stadt der Toten‘, von dem ‚Maha-Lama-See‘ von dem ‚Riesenengel‘ inmitten des Platzes, von dem ‚Traum‘ eines jeden Mir von Ardistan, von der ‚Prachtsänfte‘ in diesem Traum, von der ‚Dschema der

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