25 - Ardistan und Dschinnistan II
hatte nach seiner Rückkehr dem vorangegangenen Heer als letzter einzeln nachzureiten.
Das war nach europäischer Zeitrechnung zwischen zwei und drei Uhr in der Nacht. Wir lagen noch da, wo wir am Tag gelegen hatten. Es fiel uns gar nicht ein, in der Dunkelheit etwas zu unternehmen, was wir bei Tageslicht viel sicherer und besser ausführen konnten. Es gab aber auch noch einen zweiten Grund, uns vorsichtig und abwartend zu verhalten. Dieser Grund lag nicht in der kriegerischen Situation, in der wir uns befanden, sondern in der uns umgebenden Natur.
Wir hatten jetzt abnehmenden Mond, der sich dem Neumond näherte. Dieses ‚letzte Viertel‘ stand beim Beginn des Abends klar und deutlich am Himmel, und auch die Sterne waren so leicht erkennbar, daß man sie bis auf eine bestimmte Größe zählen konnte. Dies änderte sich nach und nach. Die Sterne verschwanden, oder vielmehr sie waren noch da, aber man konnte sie nicht mehr unterscheiden; sie flossen ineinander über. Auch der Mond wurde immer unklarer und verlor die Schärfe seiner Umrisse. Diese Undeutlichkeit nahm derart zu, daß man ihn um Mitternacht nicht mehr sah, obgleich man sagen konnte, wo er stand.
Die Pferde der Tschoban begannen, unruhig zu werden. Auch die Menschen wurden von einem ganz eigenartigen Gefühl der Unsicherheit ergriffen. Die Luft atmete sich ganz anders ein als vorher. Nicht etwa, daß uns das Atmen schwer geworden wäre, o nein, aber man schien mit der Luft zugleich eine seelische Beklemmung einzuatmen, die nicht wieder weichen wollte und sich von Stunde zu Stunde vergrößerte. Wir befanden uns, wie schon einmal gesagt, nun im Gebiet der Vulkane, deren Ausbrüche wir früher aus der Ferne beobachtet hatten. Während unseres ganzen Ritts vom Land der Ussul bis hierher war allabendlich ihr Leuchten und Glühen zu sehen gewesen, bald mehr, bald weniger deutlich und infolgedessen eindrucksvoll. Alle Anhänger der Fluß- und Friedenssage, mit denen wir gesprochen hatten, waren der Ansicht gewesen, daß das gegenwärtige Jahr das bekannte hundertste sei, in dem das Paradies sich öffne, um seine Erzengelfrage über die ganze Erde und über die ganze Menschheit erklingen zu lassen. Oft, sehr oft war es uns während dieser Zeit vorgekommen, als ob die Erde bebe, aber leise und, ich möchte sagen, versuchsweise oder zagend, daß man es gar nicht weiter beobachtet hatte. In letzter Zeit war an Stelle dieser leisen, einzelnen Versuche der schon beschriebene Zustand jenes Schwimmens, Schwingens und Schwebens getreten, bei dem man das Vorgefühl hatte, als ob irgend etwas unter den Füßen entweder kentern oder zerplatzen werde. Und am heutigen Abend wurden wir von dieser Vorahnung derart gefangengenommen, daß ich das seelische Resultat als Beengung, wenn nicht gar als Beängstigung bezeichnen möchte.
Auch heut sahen wir die Glut der Berge steigen, besonders der ferneren, im höchsten Dschinnistan. Die näheren schienen zu ruhen. Ganz ungewöhnlich verhielt sich der, welcher uns am nächsten lag, also der Dschebel Allah. Seine mittlere Kuppe, also der ‚Sohn‘, ragte still, stumm und schwarz zum Himmel auf, als ob er tot sei, starr und erstorben, von den Gluten des Erdinnern nicht mehr zu erreichen und zu beleben. Die beiden anderen Kegel aber, der ‚Vater‘ und die ‚Mutter‘, atmeten, doch nicht voll und kräftig, sondern wie in einem Krankheitsanfall, wie im Ersticken. Das begann mit leisem Rollen. Wenn man sich lang ausstreckte und das Ohr auf die Erde legte, konnte man es deutlicher hören. Ich hatte es erst für das Rollen der Kanonenräder gehalten, dann aber bald bemerkt, daß es mit der Bewegung der Geschütze nicht im Zusammenhang stand. Auf dieses Rollen folgte von Seiten eines der beiden Kegel eine Ausatmung, welche durch die Lüfte strich wie der Angsthauch, der sich pfeifend durch die Stimmritze eines Sterbenden preßt. Das war von einem Dämmerschein begleitet, der mit diesem Pfiff dem betreffenden Krater entstieg. Das Rollen vorher wurde von Stunde zu Stunde lauter und vernehmlicher, sogar auch fühlbarer. Es war, als ob sich im Innern der Erde Kräfte gesammelt hätten, die sich befreien wollten und doch nicht konnten. Dieser Ansicht waren alle, bei denen ich mich befand. Mir speziell aber wollte es scheinen, als ob diese Kräfte nicht auf die Befreiung durch den ‚Vater‘ oder die ‚Mutter‘, also durch den rechten oder linken Kegel, sondern durch den ‚Sohn‘, also den mittleren Kegel, gerichtet seien. Beweisen
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