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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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konnte ich das freilich nicht; ich fühlte es.
    Ungefähr um drei Uhr nach europäischer Zeit kam ein Reiter. Als wir ihn hörten, glaubten wir, daß es wieder ein Bote sei. Es war aber keiner, sondern der Schech el Beled selbst. Es mußte also etwas sehr Wichtiges sein, um das es sich handelte. Als er vom Pferd gestiegen war, fragte er zunächst, ob sich irgend etwas bei uns ereignet habe. Wir zeigten ihm die Zettel, die uns der ‚Panther‘ geschickt hatte. Er las sie.
    „Unvorsichtiger! Lästerer!“ sagte er dann. „Hat er denn noch immer nicht eingesehen, daß der Mensch beim Wort gehalten wird? Der gewöhnliche Sterbliche, der den zwölften Teil eines Dutzends oder den sechzigsten Teil eines Schocks gilt, mag sich gestatten dürfen, das, was er sagt und spricht, für unwichtig zu halten; wer er aber wagt, sich auf weithin sichtbare und weithin wirksame Punkte zu stellen, der muß sich vor allen Dingen sagen, daß ein jedes Wort, welches er spricht, in der Verantwortung vor Gott tausend Zentner wiegt und so lange vor den Füßen des Richters liegenbleibt, bis es durch seine innere Wahrheit, also durch die Tat, eingelöst worden ist. Auch der ‚Panther‘ wird das Gewicht seiner Worte fühlen. Was er in Worten verspricht, hat er in Taten zu bezahlen. Hat er uns die ‚Schlacht am Dschebel Allah‘ versprochen, so wird er sie uns liefern, unbedingt! Uns oder dem, für den wir alle kämpfen und gegen den er sich empört! Das ist ja auch der Grund, weshalb ich zu euch komme, jetzt, in dieser entsetzlichen, großen, wahrheitsvollen Nacht. Ich will bei euch sein. Meine Reiter sind solche Nächte und solche Wahrheiten gewöhnt. Euch aber schaudert, wenn der Ewige an die Stelle des Sterblichen tritt und die Gesetze des Himmels gelten, weil die Gesetze der Erde nicht ausreichen, Gerechtigkeit zu schaffen.“
    „Was willst du sagen?“ fragte der Mir. „Du deutest Ungewöhnliches an!“
    „Ich will sagen, daß der Dschebel Allah das Werk vollenden wird, welches der ‚Panther‘ begonnen hat.“
    „Welches Werk? Und wann?“
    „Jetzt! Heut nacht! Sobald der Morgen beginn. Der ‚Panther‘ hat es gesagt.“
    „Noch verstehe ich dich nicht!“
    „Es steht ein Ausbruch des Dschebel Allah bevor. Schaut hinauf zu ihm, und hört, wie es unter euren Füßen arbeitet! Euch ist das fremd; ich aber kenne es. Ich kenne jeden dieser wundersamen Berge, nicht nur nach seinem Namen, sondern auch nach seinem Charakter, seinem Naturell und seinem Temperament. Ich kenne vor allen Dingen den Dschebel Allah. Der ‚Vater‘ atmet, und die ‚Mutter‘ atmet, wenn auch schwer, aber sie atmen doch. Von ihnen ist nichts zu fürchten. Doch seht den ‚Sohn‘! Ich war oben bei ihm, heut, am Beginn des Morgens. Ich saß zu seinen Füßen und lauschte. Ich hörte, wie es grollt in ihm. Und ich fühlte den Zorn, der durch sein Inneres bebt. Seine Zeit ist gekommen, die große Zeit, in welcher kochende Fluten aus seiner Brust und seinen Hüften brechen, damit er sich reinige und säubere von dem Schmutz der Asche und des Staubs, der auf ihm liegt. Grün will er werden, wieder grün, wie er einst war, als der Herrgott noch durch Ardistan pilgern konnte. Das Kleid des Lebens, des Glücks, des Segens will er anlegen, nicht nur für uns, die wir in den Bergen wohnen, sondern auch für euch und alle, die ihn für tot, für kahl, für verödet, für erloschen halten. Horcht und seht!“
    Er hob den Arm und deutete zu den Höhen hinauf, von denen er sprach. In der Erde klirrte und rollte es, als ob eherne Sichelwagen, unter uns hinratternd, ihre metallenen Waffen aneinander wetzten; ein scharfer Wind pfiff plötzlich um uns her, und im nächsten Augenblick stieg aus dem Krater sowohl des ‚Vaters‘ als auch der ‚Mutter‘ eine glühende Garbe auf, und dabei erklangen Töne, wie wenn Milliarden von Feilen über Stahl und Eisen strichen. Der Schech el Beled stand vor uns, im wehenden Mantel und flatternden Schleier, den Arm nach dem Berg gehoben, im Licht der flammenden Krater uns wie ein Wesen erscheinend, von dem man nicht weiß, ob es noch irdisch oder schon überirdisch ist. Sein Gesicht war verhüllt; wir konnten es nicht sehen; aber aus seiner Stimme klang der tiefe, heilige Ernst, der in ihm wohnte und auch uns ergriff.
    „Habt ihr es gesehen und gehört?“ fragte er. „Fühlt ihr den Wind, den kalten, den es mit unwiderstehlicher Gewalt hinauf zur Wärme reißt? So zeigt uns Gott in seiner gewaltig predigenden Natur die Vorbilder

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