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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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dessen, was im Leben und in den Seelen der Völker und der Einzelmenschen zu geschehen hat, wenn die Ratschlüsse des Himmels in Erfüllung gehen sollen! Ich kenne den ‚Sohn‘ und seine Weise. Schon beginnt die Kraft unter seinem Fuß zu wirken. Bald kommt ein Augenblick, an dem alle Kuppen, die jetzt glühen, wie mit einem einzigen Hauch ausgeblasen werden. Das ist seine Zeit! Dann beginnt er allein! Er, der Segensreiche, der die Wasser von Dschinnistan unter seinem Thron sammelt, um sie tief unter der Erde zu den Engeln der ‚Stadt der Toten‘ und des Engpasses von Chatar zu leiten.“
    „Von hier aus kam das Wasser, welches uns rettete?“ fragte ich.
    „Ja, von hier aus, vom Dschebel Allah aus“, antwortete er.
    „Und du bist überzeugt, daß wir einen Ausbruch dieses Berges zu erwarten haben?“
    „Ja.“
    „Heut? Jetzt?“
    „Vielleicht schon in wenigen Minuten.“
    Da rief Halef erschrocken aus:
    „So ist der ‚Panther‘ mit seinem ganzen Heer verloren! Allah sei ihm und ihnen gnädig und uns auch! Wir müssen hin, sie zu retten!“
    „Ja, wir müssen retten, müssen wenigstens warnen!“ stimmte ich bei. „Unsere beiden Pferde sind die schnellsten. Wir werden sofort miteinander –“
    „Halt! Keine Torheit!“ unterbrach mich der Schech el Beled, und der Dschirbani hielt den Hadschi fest, der schon forteilen wollte, ohne erst noch auf mich zu warten. „Es ist bereits zu spät. Ihr würdet nur in euer eigenes Verderben jagen. Fühlt ihr es? Kein Mensch kann jetzt mehr nach jenem Berg reiten!“
    Die Erde zitterte unter uns. Dennoch rief Halef:
    „Ich reite aber trotzdem! Sihdi, hilf mir! Ich will los. Ich will fort!“
    Er rang mit dem Dschirbani, der ihn mit seiner Riesenkraft festhielt.
    „Laß ihn los!“ bat ich diesen. „Wir müssen fort; wir müssen hinauf, um zu warnen! Es ist Menschenpflicht!“
    „Menschenpflicht?“ fragte er. „Ssahib, ich achte dich, und ich liebe dich, hier aber muß ich dir widersprechen, hier bist du schwach und kurzsichtig. Wenn Gott das Gericht in seine eigenen Hände nimmt, ist es da wirklich Menschenpflicht, ihm zu widerstehen und den Schuldigen zu retten?“
    „Sie sind nicht alle schuldig, denen jetzt das Verderben droht“, warf ich ein.
    „Alle sind schuldig, alle!“ behauptete er. „Denk an die ‚Stadt der Toten‘! Hier hast du deinen Halef! Wollt ihr euch gegen den Willen des Geschicks sträuben und für einen ‚Panther‘ dem sicheren Tode entgegengehen, so tut es; ich aber bleibe hier!“
    Er gab Halef frei und trat an die Seite des Schech el Beled. Dieser drückte ihm die Hand, zog ihn näher zu sich heran und rief:
    „So war es recht! So höre ich dich gern, gerade dich! Nie soll die Menschenliebe zur Herzensschwäche werden. Je edler der Mensch denkt, desto unerbittlicher sei er gegen alles Schädliche und Gemeine. Paßt auf, paßt auf! Es naht! Schon beginnen die höchsten Kuppen zu verlöschen!“
    Er ließ die Hand des Dschirbani, die er ergriffen hatte, nicht wieder los. Sie standen nebeneinander, vollständig gleich gekleidet, denn wir hatten die Gewänder der Lanzenreiter im Drang der Umstände noch nicht wieder abgelegt. Der Schech el Beled war etwas weniger hoch und etwas weniger breit als die Gestalt des Dschirbani, und doch wollte es scheinen, als ob diese beiden nicht nur in Beziehung auf ihre Meinungen, sondern auch körperlich zusammengehörten. Ich hatte keine Zeit, diesen Gedanken weiter auszuspinnen, und ich hatte auch gar keine Zeit, mit Halef meine Absicht, die Feinde zu warnen, auszuführen, denn es zeigte sich jetzt, daß der Schech el Beled ganz richtig gesagt hatte, daß es zu spät, viel zu spät dazu sei. Die Stimme des Herzens mußte schweigen, weil andere Stimmen zu sprechen begannen, und zwar Stimmen, gegen welche unsere schwachen Menschen- und Herzensstimmen unmöglich aufkommen können.
    Die Säulen, Kuppen und Zinnen des Nordens hatten bisher ununterbrochen geglüht; jetzt verlöschten sie, eine nach der andern. Es wurde dunkel da oben. Der Wind, welcher sich vorhin erhoben hatte, war wieder eingeschlafen. Tiefe, unheimliche Stille herrschte ringsumher.
    „Sind die Tschoban ihrer Pferde sicher?“ fragte der Schech el Beled.
    „Ja“, antwortete der Mir. „Ich habe strenge Weisungen erteilt, die man befolgen wird. Horcht! Was war das?“
    Es war in der Ferne ein Schuß gefallen.
    „Eine Kanone!“ rief der Dschirbani, halb fragend, halb erstaunt.
    Wieder hörten wir einen Schuß, noch einen und

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