25 - Ardistan und Dschinnistan II
hintereinander, bis die noch zurückstehenden Pferde ganz von selbst einsahen, daß es gar nicht schwer sein könne, die Stufen zu überwinden. Als so die Angst beseitigt war, dauerte es gar nicht lange, bis auch das letzte von ihnen die Schwierigkeit überwunden hatte. Smihk, der Dicke, aber hatte mehr erreicht als alle die andern Gäule: man sprach überall von ihm; er war von jetzt an der erklärte Liebling aller Bewohner von El Hadd und wurde, wo man seiner nur habhaft werden konnte, mit Leckerbissen bestürmt, die oft wohl kaum für ein Pferd geeignet waren.
Der Zug berührte alle übereinanderliegenden Terrassen, bis wir auf der obersten angekommen waren und nun in sanfter Steigung nur noch die eigentliche Kuppe des Berges zu nehmen hatten. So nämlich dachte ich. In Wirklichkeit aber war, wie ich bald sehen konnte, von einer Bergkuppe gar keine Rede. Es gab hier weder das, was man im eigentlichen Sinne einen Berg, noch das, was man eine Kuppe nennt. Der Kessel, der nun unter uns lag, war nichts als der wohlterrassierte, plötzliche Absturz der weit vorherrschenden Ecke eines Hochplateaus, an dessen Südseite sich das eigentliche Dschinnistan nun erst zu erheben begann. Die Füße aller der Berge, die man da sah, standen im Wasser. Ungefähr so, aber in gigantischer Vergrößerung, wie der Vierwaldstädter See sich derart innig um die Fundamente des Rigi, des Pilatus und anderer Berühmtheiten legt, daß sehr oft zwischen Wasser und Fels kein gangbarer Pfad zu ermöglichen ist, so windet sich auch da oben im südlichen Grenzgebiet von Dschinnistan eine vom tiefsten Blau bis zum hellsten Grün zu den Menschen sprechende Flut in der Weise zwischen den hochstrebenden Felskolossen hin, daß man behaupten möchte, diese letzten seien nicht durch die Füße der Sterblichen, sondern nur auf ähnliche Weise zu erreichen, wie der Gegensatz von diesen Bergen, nämlich die Unterwelt, einst nur durch Charons Kahn zu erreichen war.
Diese Wasser, deren Weite und Tiefe bisher noch nie ergründet worden ist, flossen einst nach drei Seiten hin in die Täler und Ebenen der angrenzenden Länder nieder, nämlich nach Ost, nach West und nach Süd. Dieser letztere Fluß war der Ssul, der durch El Hadd nach Ardistan ging und am Küstenland der Ussul das Meer erreichte. Warum er einst versiegte und warum die von ihm befruchteten Gegenden zur Wüste wurden, das hat man versucht, mit Hilfe der Sage zu erklären. Es wird die Zeit kommen, in der die exakte Wissenschaft es für ihre Aufgabe hält, diese Fragen zu erörtern. Bis heut ist nur erwiesen, daß der Ssul sich aus jenen Wasserfluten erzeugte, welche von Dschinnistan bis herüber an das Schloß von El Hadd geflossen kommen und damals von Abu Schalem, dem berühmtesten und gütigsten aller Maha-Lamas, durch ebenso geheimnisvolle wie umfangreiche Uferbauten geregelt wurden.
Hiervon aber hatte ich, als wir jetzt aus dem Kessel heraufgeritten kamen, keine Ahnung. Ich glaubte, sobald wir die Höhe erreichten, jenseits wieder tief in abfallende Täler schauen zu können, und der Schech el Beled, der das wohl wußte, sagte kein einziges Wort, mich von diesem Irrtum zu befreien. Die Stadt, welche unterhalb des Schlosses lag, ging nicht ganz bis zu diesem hinauf. Man hatte von ihren letzten Häusern aus noch volle vier Terrassen höher zu steigen. Genausoweit, also genau vier Terrassen tief, reichte das äußere Fundament des Engels nieder, während rechts und links davon die Fundamente des Schloßbaus nur zwei Terrassen tief gründeten, aber auch auf festem, unerschütterlichem Felsen. Diese ungeheuer starken Mauerwerke schlossen große, geräumige Erd- und Kellergeschosse ein, die nach Süden, also nach der Sonnenseite lagen und neben gesunder Wohnung auch eine unübertreffliche Aussicht boten. Hier wurden die Ussul untergebracht. Sie wohnten da besser als in Ard, und vortreffliche Stallungen gab es für ihre Pferde mehr als genug. Für die Lanzenreiter und die ‚Schwarzgepanzerten‘ standen ganz oben besondere Gebäude.
Als wir die letzte und höchste Vorterrasse hinter uns hatten und auf dem Plateau anlangend, unter herrlichen, tausendjährigen Zedern hervorritten, bot sich uns ein Anblick, der so vollständig unerwartet und zugleich so überwältigend war, daß man hätte glauben können, zu träumen. Das war ja keine Bergspitze, wie ich erwartet hatte, sondern ein ganzes, neues, großes herrliches Land, welches in wunderbarer, nie geahnter Schönheit vor uns breitete. Wir hatten
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