25 - Ardistan und Dschinnistan II
die weite Fläche des Sees, welcher fast ein Meer war, vor uns liegen, nach Ost und West vollständig unbegrenzt, während im Norden aus seiner Flut die Berge von Dschinnistan stiegen, in leichte Schleier gehüllt, zu Stein gewordenen Wahrsagerinnen gleich, die ihre Häupter aus dem See erheben, um nachzuschauen, ob sich bald erfüllen werde, was die Tiefe da unten schon seit Jahrtausenden predigte. Und hier, auf der Südseite des Sees, die fast übernatürlich hohe Gestalt des Engels, der, die Hand wie zum Segnen erhebend, von dem Hochland hinunter über die Grenze schaute, hinter sich eine unendliche und unerschöpfliche Fülle des Wassers, nach welchem die Menschen da unten und da draußen schon viele Jahrhunderte lang vergeblich dürsteten. Diesen Engel nach Ost und West flankierend, die hochragenden und weit ausladenden Gebäude des Schlosses, dessen Stil in seiner sichern Schwere und doch so leichten, anmutig bewegten Gliederung nicht die geringste Spur der abendländischen Baukunst an sich hatte. Vor sich eine ganze Menge blühender, duftender Gärten, welche durch tiefe Kanäle getrennt waren und in ihrer Gesamtheit doch einen Park von so eigenartiger Anlage und Schönheit bildeten, daß es seinesgleichen gewiß nicht weiter gab. Und tief, wie diese Kanäle, war auch der eigentliche Zweck dieser Gärten und der fächer- und kulissenartigen Anordnung, in der sie sich von dem Schloß aus weit in den See hinaus erstreckten. Diese Gärten bildeten nämlich die verhüllende Verkleidung natürlicher Felsenmauern, welche, sich zwischen einander schiebend, weit, weit hinaus in den See verliefen, um den ungeheuren Druck seines Wassers in Null zu verwandeln und den Wellen aber trotzdem zu erlauben, bis ganz nahe an das Schloß heranzutreten.
Diese seltsame Anordnung der Felsen, Mauern, Durchbrüche und Kanäle hatte aber noch einen zweiten Grund, der mit dem Innern des Engels in Beziehung stand. Es gab noch einen anderen Druck, dessen Wirkung hierdurch genau geregelt und dessen Gefährlichkeit in Nutzen verwandelt werden sollte. Diese Felsenfächer und Felsenkulissen bildeten nämlich die berühmte und zugleich sagenhafte ‚Wasserscheide von El Hadd‘, und im Innern des Engels lag für die wenigen berufenen Hände, die es gab, der Schlüssel, dieses Geheimnis in Wirkung treten zu lassen. Es war mir beschieden, das sehr bald zu erfahren.
Wir hatten unsere Pferde angehalten und sogen dieses köstliche Bild nicht nur in unsere Augen, sondern noch viel, viel tiefer auch in unsere Seelen ein. Die Sonne war im Scheiden. Sie hatte nur noch drei oder vier ihrer Durchmesser niederzusteigen, um dann im See zu verschwinden. Schon begannen einzelne Funken, über das klare, unbewegliche Kristall der Oberfläche zu zucken. Die Atmosphäre aber war bewegter als das Wasser. Das sahen wir an einem weißen Doppelsegel, welches, aus Nordwest kommend, sich näherte. Das Boot, welches von diesen beiden Segeln getrieben wurde, lag in ruhiger Fahrt ein wenig auf die Seite geneigt. Wie groß es war und wen es trug, das konnte man noch nicht sehen; aber Bug und Heck waren fremdartig hoch erhaben, und in dem Leinen zeigte sich nicht die geringste Spur eines Fleckes oder einer durch Gewalt erzwungenen Naht.
Wir waren vor Erstaunen und Bewunderung still gewesen; keiner hatte ein Wort gesprochen. Jetzt aber sagte der Schech el Beled, indem er nach dem Boot deutete:
„Wie pünktlich! Unendlich pünktlich! Sie liebt es, daß auch wir es sind! Sie kommt!“
„Wer?“ fragte Halef.
„Du wirst dich wundern“, antwortete der Schech, ohne einen Namen zu nennen; aber seine Stimme klang sehr frohbewegt. „Dort bringt man schon die Pferde. Man hat sie kommen sehen. Sie lieben nicht die Sänfte; sie reiten beide gern.“
Man brachte zwei köstliche Schimmel aus dem Schloß, welche Damensättel trugen.
„Wir reiten mit, sie zu empfangen. Kommt!“ forderte uns der Schech auf, indem er sich in Bewegung setzte.
Wir folgten ihm, und sämtliche Lanzenreiter kamen hinter uns her. Das sah aus, als gelte es, eine Fürstin zu empfangen. Wir ritten zunächst nach der Mitte des Schloßplatzes, von wo aus der breite Hauptweg des Kanal- und Gärtenfächers in schnurgerader Linie hinaus nach dem Landungsplatz führte. Dort angekommen, sahen wir, daß das Boot Anstalten traf, die Segel fallen zu lassen. Dies geschah. Nun sahen wir vier Personen, zwei Männer und zwei Frauen. Die Männer banden das Leinen fest und griffen dann zu den Rudern. Von den Frauen
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